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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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blicken lassen. Wir haben uns immer im Kohlenkeller getroffen, wissen Sie. Sie durfte ja nicht aus dem Haus. Die Familie hat sie wie eine Gefangene behandelt. Wenn die Frau wegging, hat sie sie eingeschlossen. Ich habe sie dann später hier in Krakau wiedergetroffen. Hier auf dem Platz standen wir uns plötzlich gegenüber.«
    »Und auch da hat sie nichts erzählt?«, fragte Myriam und warf Henri einen Blick zu.
    »Nein. Sie hat mir nie von einer Schwangerschaft erzählt, nur dass man sie zur Arbeit auf den Flughafen Frankfurt geschickt hatte, wo sie zusammen mit ungarischen Frauen eine neue Rollbahn planieren musste.« Sie schwieg einen Moment, bevor sie fortfuhr: »Das alles hat sie kaputtgemacht.:Sie haben sie gebrochen, verstehen Sie. Sie war krank. Bekannte ihres Vaters haben sie schließlich im Historischen Museum als Aufsicht arbeiten lassen. Diese Arbeit hat sie auch nicht aufgegeben, als sie diesen Polizisten geheiratet hat. Er war so jähzornig. Ich weiß nicht, warum sie ihn geheiratet hat. Das Einzige, was sie hatte, war ihr Sohn Leszek. Zum letzten Mal habe ich sie getroffen, als ich 1998 einen Antrag auf Entschädigung gestellt habe. Ich habe sie ebenfalls dazu überredet, obwohl sie keine Papiere und keinen Nachweis hatte. Sie hat sich geweigert. Leszek, ihr Sohn, hat, soweit ich weiß, an die Familie Winkler geschrieben, doch nie eine Antwort erhalten. Danach hat sie ihn angefleht aufzuhören. Sie hatte Angst, furchtbare Angst. Das habe ich damals nicht verstanden. Sie konnten uns doch nichts mehr tun, aber wir ihnen.«
    »Wohin ist sie nach ihrer Rückkehr aus Deutschland gegangen?«
    »Ihrer Familie gehörte ein Haus in der Starowiślnastraße. Als sie zurückkam, war niemand mehr da. Ihre Mutter ist ein Jahr, nachdem Zofia verschwunden ist, nach Lwów gezogen. Dort ist ihr Bruder an Tuberkulose gestorben. Sie haben sich nie wieder gesehen.«
    Als sie sich von Magda Urban verabschiedeten, sagte sie: »Ich wusste nicht, dass Zofia noch lebt. So viele sind schon gestorben, aber ich möchte sie noch einmal sehen.«
    Henryk Lisowski hatte ein Haus besessen, das Zofia, seine Tochter, geerbt hatte. Inspektor Halecki erklärte ihnen, dass sie vermutlich in den Jahren des Sozialismus nicht mehr als ein Wohnrecht hatte. Aber jetzt gehörte es wieder ihr.
    Dort mussten sie sein. Es gab keine andere Möglichkeit. Matecki hatte seine Mutter und Frederik in die alte Wohnung gebracht.
    Begleitet von mehreren Polizeifahrzeugen machten sie sich auf den Weg. Doch die Straßen waren verstopft. Sie kamen nicht voran.

37
    Denise Winkler versuchte, irgendeinen Hinweis darauf zu finden, dass jemand in dem völlig heruntergekommenen Gebäude wohnte. Nicht nur der Putz war abgeblättert, auch das rote Dach war von grauem Moos überwuchert, und die Eingangsschwelle hatte sich verschoben. Alle Häuser der Straße schienen verwahrlost und verwaist, bis auf die wenigen, vor denen neue Autos standen. Doch die Adresse stimmte, die Matecki ihr genannt hatte.
    Unaufhörlich raste der Verkehr die Straße entlang, verstärkt durch das Rattern der Straßenbahn, die im Abstand von nur wenigen Minuten an der Haltestelle zum Stehen kam.
    Ich muss Sie dringend sprechen. Kommen Sie in die Starowiślnastraße. Matecki.
    Das war die Nachricht gewesen. Sie hatte am Abend zuvor immer wieder vergeblich versucht, ihn zu erreichen. Warum wollte er sich jetzt mit ihr treffen? Es konnte nichts anderes bedeuten, als dass er sich entschieden hatte. Er wollte ihr helfen und er hatte Neuigkeiten.
    Er hatte keine Uhrzeit genannt. Sie konnte nur hoffen, dass es nicht zu spät war.
    Denise streckte den Kopf nach oben. Dem Haus war anzusehen, dass es einst bessere Zeiten gesehen hatte. Jetzt war die Fassade schwarz und rußig. Im ersten Stock erkannte sie graue Gardinen hinter den Fenstern. Sie fand keine Klingel. Doch die Tür ließ sich ohne Probleme öffnen. Sie betrat einen Durchgang. Links führte eine breite Treppe nach oben zu einer Gittertür, geradeaus ging der Weg direkt in einen Hinterhof. Denise ging weiter, rechts an der Wand entlang, wo eine Reihe Briefkästen hing. Die Namensschilder waren nicht lesbar oder verschwunden. Alles wirkte unbewohnt und verwahrlost. Warum wollte sich Matecki hier mit ihr treffen? Sie hatte erwartet, ihn auf der Straße vor dem Haus anzutreffen.
    Der Hinterhof wurde von Häusern rundum eingeschlossen. Ein typisches Bürgerhaus, wie es sie auch vor dem Krieg in Frankfurt gegeben hatte. Eine Wäscheleine spannte
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