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Wintermörder - Roman

Titel: Wintermörder - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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sich über den Hof, der einst mit Steinplatten ausgelegt war, die jetzt fast vollständig von Gras überwuchert waren.
    Sie drehte sich um und schaute das Hinterhaus hoch. Auch hier dasselbe wie vorne. Alles lag völlig still da. Sie kehrte zu der Treppe zurück, die an der Gittertür endete. Oben waren Klingeln angebracht. Wie an den Briefkästen waren auch hier keine Namen zu finden.
    Kurz entschlossen drückte sie auf eine von ihnen und starrte das Gitter an.
    Aber nichts geschah.
    Sie versuchte es noch einmal, drückte schließlich eine Klingel nach der anderen.
    Warum war Matecki nicht hier?
    Sie griff nach dem Handy und wollte ihn schon im Büro anrufen, als ein automatischer Türöffner summte. Das Me-tall klirrte, als sie sich dagegenwarf. Das Gitter gab nach.
    Sie stieg fünf Stufen hoch bis zu einer großen Flügeltür, die in das Treppenhaus führte. Es sah nicht aus, als ob hier jemand wohnte.
    »Herr Matecki?«, rief sie durch den kalten Flur. Als niemand antwortete, kam ihr das Haus noch leerer vor. Eine ausgetretene Holztreppe mit einem schön geschwungenen Geländer führte in das nächste Stockwerk. Sie bewegte sich eine Stufe nach der anderen nach oben. Langsam und leise, damit sie nichts überhörte. Im ersten Stock gab es drei Wohnungstüren. Niemand war zu sehen, nichts war zu hören. Sie klopfte an die ersteTür. Nichts. Es gelang ihr nicht, sie zu öffnen.
    Sie versuchte dasselbe bei der Wohnung gegenüber. Zu ihrer Überraschung war sie nicht abgeschlossen. Sie stieß sie auf und rief: »Hallo.«
    Wieder antwortete ihr niemand.
    Sie versuchte das Gefühl der Unruhe beiseitezuschieben. Sie durfte nicht weglaufen. Nicht schon wieder. Ihr schlug Verlassenheit und Trostlosigkeit entgegen. Als unten die Straßenbahn anfuhr, zitterte der Holzboden, und die Fensterscheiben klirrten.
    Sie betrat das erste Zimmer. Die Fensterläden waren geschlossen, doch das Licht reichte aus, um zu erkennen, dass lange niemand mehr hier gewesen war. Nur eine alte Spüle erinnerte daran, dass es eine ehemalige Küche war. Nicht einmal ein Wasserhahn tropfte. Sie verstand auch, warum, der letzte Tropfen war am Hahn festgefroren.
    Wo war Matecki?
    Sie überlegte kurz, jemanden anzurufen.
    Myriam.
    Ihr fehlte die Geduld für Erklärungen, Bitten, Fragen. Es trieb sie weiter. Egal, ob Matecki hier war oder nicht. Das Haus hatte etwas mit ihr zu tun. Sie spürte es.
    Dieser Gedanke vertrieb die Angst. Nein, nicht wirklich. Etwas anderes war stärker. Es war wieder dieses Gefühl, sich aufzulösen. Mike hatte ihr erklärt, dass wir alle eigentlich nur Projektionen seien. Wir könnten nur in drei Dimensionen denken. Die vierte läge in uns selbst, und dahin könnten wir fliehen, wann immer wir wollten. Sie hatte nicht wirklich verstanden, was er damit meinte, doch sie hatte es fühlen können. In ihr gab es einen Bereich, den andere nicht sehen konnten. Das war ihre vierte Dimension, in die sie jahrelang geflüchtet war.
    Sie betrat das Badezimmer. Die Toiletten waren schon lange nicht mehr benutzt worden. Kein Geruch nach abgestandenem Urin oder Kot.
    Etwas huschte an ihr vorbei.
    Mäuse.
    Dass es etwas Größeres aus dieser Gattung gewesen sein könnte, diesen Gedanken vermied sie.
    Jemand musste in diesem Haus sein, jemand hatte ihr geöffnet.
    Das nächste Zimmer war ein großer, hoher Raum, in dem ein dunkelbrauner Kachelofen in der Ecke stand. Von der Decke baumelte ein verrosteter Kronleuchter. Er begann, in der Zugluft leicht zu schwanken.
    Als ihr Handy klingelte, schreckte sie zusammen. In der Hoffnung, es sei Matecki, nahm sie das Gespräch an. Doch es war Kadow.
    »Wo sind Sie?«, fragte er.
    »In einem Haus in der Starowiślnastraße«, antwortete sie. »Matecki, der Polizist, wollte sich hier mit mir treffen.«
    Sie hielt inne, als sie glaubte, Stimmen zu hören.
    Kadow hatte etwas gesagt.
    »Was ist los?«
    »Wie heißt der Polizist?«
    »Matecki«, antwortete sie ungeduldig. »Aber ich habe keine Zeit.«
    »Hören Sie«, schrie Kadow ins Telefon. »Verlassen Sie das Haus. Ich weiß jetzt, wer Zofia Lisowska …«
    Sie hörte den Rest nicht mehr, denn sie hatte aufgelegt, weil sie wieder glaubte, Stimmen zu hören. Sie verließ das Zimmer und horchte draußen auf dem Flur.
    Das Handy begann erneut zu klingeln. Als es keine Ruhe gab, schaltete sie es ab.
    Hier war das Geräusch nur schwach. Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück.
    Ganz deutlich. Gedämpfte Stimmen.
    War es eine Kinderstimme?
    Ihre Hände zitterten.
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