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Wintermädchen

Wintermädchen

Titel: Wintermädchen
Autoren: Laurie Halse Anderson
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und Bewältigung sind nichts als Schwindel. Fantasie. Gutenachtgeschichten, die man absonderlichen Patienten erzählen, die ein bisschen Schlaf brauchen.
    Wir haben beide Recht.
    Die Toten wandern sehr wohl umher und spuken und kriechen nachts zu dir ins Bett. Sie schleichen sich in deinen Kopf, wenn du gerade nicht aufpasst. Sterne formieren sich zu Konstellationen und Vulkane spucken Glasstücke aus, die die Zukunft voraussagen können. Giftbeeren machen Mädchen stärker, bringen sie manchmal aber auch um. Wenn man den Mond anheult und einen blutigen Eid schwört, geht alles in Erfüllung, was man sich wünscht. Vorsicht mit dem Wünschen! Irgendwo gibt es immer einen Haken.
    Dr . Parker und alle meine Eltern leben in einer Welt aus Pappmaschee. Sie basteln aus Zeitungspapierschnipseln und etwas Klebstoff Probleme zusammen.
    Ich lebe im Grenzgebiet. Das Wort Geist klingt wie Erinnerung. Das Wort Therapie klingt wie Exorzismus. Meine Visionen vervielfachen sich wie Echos. Ich weiß nicht, wie ich herausfinden soll, was sie bedeuten. Ich kann nicht sagen, wo sie beginnen oder ob sie aufhören werden.
    Aber eins weiß ich. Wenn sie meinen Kopf noch weiter schrumpfen oder mich in einem Meer aus Tabletten fortspülen, kehre ich nie mehr zurück.
    056.00
    Ich benutze den Apparat am Empfang, um Jennifer anzurufen. Ihr Handy schaltet sofort auf Mailbox. Dads ebenso. Dr . Marrigan ist immer noch im Dienst, da brauche ich es gar nicht erst zu versuchen.
    Der Schnee fällt so schnell, dass man die Straßenlaternen kaum erkennen kann. Bucklige Schattenrissautos kriechen dahin, mit kleinen Bergen auf ihren Dächern. Jennifer bekommt bei Schnee Panik, hat ständig Angst, dass die Reifen durchdrehen und das Heck ausschert. Aber sie hat es versprochen. Sie wird schon auftauchen, mich zum Haus meiner Mutter fahren, zum Haus ohne Weihnachtsbaum, weil ein Baum so viel Arbeit macht. Ich werde Flüssigkeit aufnehmen und in einen Plastikbehälter wieder ausscheiden. Mom wird Anrufe tätigen und Anrufe entgegennehmen und alles Notwenige tun, um mich in meinem eisernen Verlies gefangen zu halten.
    Der Schnee fällt schnell genug, um uns alle zu ersticken.
    Ich rufe ein Taxi und biete an, wegen der Wetterverhältnisse den doppelten Fahrpreis zu zahlen.
    Nach genau zwei Minuten ist der Fahrer da. Immer noch keine Jennifer. Ich steige ein, sage ihm, wohin ich will. Er entschuldigt sich für seine nicht funktionierende Heizung. Ich sage, das spiele keine Rolle.
    Das Taxi hält vor der Bank, wo man mich noch reinlässt, obwohl sie in einer Minute schließen.
    Das Taxi hält vorm Pizzaladen, der rund um die Uhr geöffnet hat.
    Er möchte nicht zum Gateway Motel rausfahren, sagt, dass er dort unmöglich einen Fahrgast finden wird, der zurück in die Stadt will, und was ist, wenn er im Schnee stecken bleibt?
    Ich wedele ihm drei Zwanzigdollarscheine ins Gesicht und sage ihm, er soll sich beeilen.
    Auf dem Motelparkplatz erhebt sich ein einziger wagenförmiger Buckel, ein El Camino. Der Taxifahrer weigert sich weiterzufahren, weil der Parkplatz nicht geräumt wurde. Ich gebe ihm sein Geld, nehme meine Handtasche, meinen Strickbeutel und die Pizza und wate in den Schnee hinaus.
    ***
    Elijah öffnet mit vorgelegter Kette die Tür zum Zimme r 115. Der Wind bläst mir die Kapuze vom Kopf. »Bitte.«
    057.00
    Ich schleppe den Sturm mit meinen Stiefeln herein und rede extrem schnell. »Okay, hör zu. Mein Vater hat mich rausgeworfen und die Vorschriften meiner Mutter sind geistesgestört.«
    Er starrt mich bloß an. Ich schiebe ihm den Pizzakarton hin.
    »Krieg ich ein Zum-Beispiel?«
    »Zum Beispiel lässt sie mich jedes Mal, wenn ich auf Toilette muss, in einen Plastikbecher pinkeln, um den Inhalt zu messen.«
    Er legt den Karton aufs Bett. »Warum?«
    »Sie ist wie besessen von meinem Körper. War sie immer schon. Hat mich als Kleinkind mit Tofu statt mit normaler Babynahrung gefüttert. Und mit drei steckte sie mich in den Ballettunterricht. Wer tut denn so was?«
    »Also bist du hergekommen, um für eine Nacht aus allem raus zu sein? Eine kleine Elternauszeit?«
    Ich ziehe meine Handschuhe aus. »Nicht so ganz. Wann fährst du los?«
    Er greift nach meinen Fäustlingen und trägt sie ins Bad. »Morgen, falls die Straßen dann geräumt sind. Gib mir deinen Mantel. Ich hänge ihn über die Badewanne.«
    Ich knöpfe mir den Mantel auf und ziehe ihn aus. »So schnell?«
    »Über Weihnachten hat hier niemand reserviert.« Er trägt den Mantel ins Bad
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