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Winterfest

Winterfest

Titel: Winterfest
Autoren: Jørn Lier Horst
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Personen offenlegte, aber die Vernehmung war auffällig glatt abgelaufen. Keine kritischen Fragen, kein Nachhaken. Nichts deutete darauf hin, dass der Polizist, der die Aussage protokolliert hatte, nach Antworten suchte oder mehr als das rein Oberflächliche von ihm erfahren wollte.
    Wisting blätterte zurück zum Deckblatt und las den Namen des Ermittlers, der die Vernehmung durchgeführt hatte. Petter Eikelid. Das war der Fahnder, den Leif Malm bei ihrem ersten Treffen mitgebracht hatte. Eine Erklärung für die Mängel konnte sein, dass diese Sorte Polizist selten hinter einem Computer saß und ein Verhör führte. Sie war nicht dafür ausgebildet, war unsicher und überließ die Taktik der kritischen Fragen einem der nachfolgenden Verhöre. Eine andere Erklärung war möglicherweise, dass derjenige, den Petter Eikelid vernommen hatte, der Informant war, der sie die ganze Zeit mit Interna versorgt hatte. Dass es die Rolle war, die Tommy in diesem Fall gespielt hatte, und dass deshalb die Antworten in Watte gepackt und harmlos daherkamen. Die Aussage enthielt nichts, woraus sich für Rudi Muller ableiten ließe, dass Tommy an seiner Verurteilung mitgewirkt hatte. Die Erklärung, dass Rudi Muller sich das Auto geliehen hatte, würde entscheidend sein, aber für sich gesehen war es eine unschuldige Aussage.
    Wisting legte das Vernehmungsprotokoll zu den anderen Akten. Er würde nie eine Bestätigung für seinen Verdacht bekommen. Dass die Polizei einen Informanten im engeren Umfeld von Rudi Muller gehabt hatte, würde für immer ein verborgener Teil der Ermittlungen bleiben. Alles andere hätte die Sicherheit der Quelle gefährdet.
    Es war keine Besprechung angesetzt, aber mehrere Ermittler hatten sich im Besprechungsraum versammelt. Die Aufnahmen von dem Überfall auf das Gelddepot wurden auf der Großbildleinwand gezeigt. Espen Mortensen stoppte den Film, als Wisting hereinkam, und spulte ihn ein paar Sekunden zurück bis zu dem Augenblick, als die Räuber zusammen mit den Wachschutzleuten aus dem Geldtransporter stiegen. Die Schwachstelle hatte nicht in den Gebäudeverhältnissen gelegen, sondern im Menschlichen.
    »Sie ist alleinerziehende Mutter«, referierte Mortensen die Zeugenaussage der Wachschutzfrau. »Sie arbeitet seit fast zwei Jahren bei Nokas und im letzten halben Jahr ist sie immer mit demselben Wachschutzmann zusammen gefahren.« Er hielt den Film an und zeigte auf die Leinwand. »Sie wurden ein Paar, und als das Mädchen bedroht wurde, beschlossen die beiden, mit den Räubern zusammenzuarbeiten und sie in den Wagen zu lassen.«
    »Gibt es keine Sicherheitssysteme gegen so was?«, fragte Benjamin Fjeld. »Ein Tracker oder etwas, womit registriert wird, wenn sie unfahrplanmäßig halten, oder irgendwas in der Art?«
    »Sie haben selbstverständlich Überwachungssysteme in ihren Wagen, aber wir reden hier von einem kürzeren Stopp als vor einer roten Ampel. Außerdem war der Transporter ja leer. Er war unterwegs, um Geld zu holen. Das Auto an sich war kein Überfallobjekt.«
    »Sagen sie aus?«, fragte Christine Thiis.
    Wisting schüttelte den Kopf.
    »Sie warten auf ihre Verteidiger.«
    Die Juristin lehnte sich auf dem Stuhl zurück und ein leicht resignierter Ausdruck glitt über ihr Gesicht.
    »Eine Anklage wegen Raubüberfalls ist unproblematisch«, sagte sie. »Man wird uns kritisieren, dass wir nicht vorbeugende Maßnahmen ergriffen haben, als wir wussten, was passieren würde, aber wir werden einen Schuldspruch für alle drei erreichen. Die Herausforderung für uns besteht darin, Rudi Muller mit den Todesfällen und der Einfuhr von Rauschgift in Verbindung zu bringen.«
    »Das werden wir«, versicherte Wisting, ohne von der Aussage Tommy Kvanters zu berichten. »Jetzt ist der Moment, in dem unser Job beginnt«, sagte er. »Von nun an wird sich der Fall zu unserem Vorteil entwickeln.«
    Er ließ den Blick über die Ermittler am Tisch wandern und sah, dass sie überzeugt waren von dem, was er sagte. Er selbst vertraute auch darauf.
    Er hatte es viele Male zuvor erlebt. Bei allen Fällen kam es zu einem Wendepunkt. Diesen Punkt hatten sie jetzt erreicht. Bisher hatte ihre Arbeit darin bestanden, die Ermittlungen ins rechte Gleis zu bringen. Von nun an ging es darum, Beweise zu sichern. Den Fall zu untermauern, Stein für Stein.
    Er erklärte es seinen Kollegen als den Augenblick, in dem die Polizei ein Bein auf die Erde bekommt. Boden unter den Füßen. Im Staub, der aufgewirbelt wird, gibt es
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