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Winterfest

Winterfest

Titel: Winterfest
Autoren: Jørn Lier Horst
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sich zurück und sah sie an. »Weißt du, was ich glaube?«, sagte er und fuhr fort, ehe sie antworten konnte: »Ich glaube, Tommy hat getan, was er für richtig hielt.«
    Line nickte langsam und holte tief Luft. Als sie den Mund öffnete, um zu erzählen, klang es wie ein Seufzen.
    Ihr Vater hörte zu und nickte zwischendurch, als würde ihm bestätigt, was er sich gedacht hatte.
    »Ich fühle mich, als hätte ich ihm Unrecht getan«, schloss sie. »Er wollte nur Gutes. Wollte es dir und mir recht machen.«
    Suzanne hatte sich zu ihnen gesetzt und dem Gespräch zugehört. »Du verlässt ihn nicht wegen dem, was er getan hat«, erinnerte Suzanne sie. »Du verlässt ihn, weil er so ist, wie er ist. Du würdest es nie schaffen, ihn zu ändern.«
    Sie unterhielten sich noch fast eine Stunde, dann stand Line auf, um zu Bett zu gehen. Auf dem Weg nach oben blieb sie vor dem Tisch neben der Treppe stehen. Neben den Akten ihres Vaters lag eine tropfenförmige Glasfigur.
    »Was ist das?«, fragte sie und nahm den Glastropfen in die Hand.
    Das Licht der Lampe spielte darin und warf seltsame Muster an die Wand. Ihr Vater trat neben sie.
    »Das ist Hoffnung«, antwortete er.
    »Hoffnung?«
    »Sein Besitzer nennt ihn einen ›Traumsammler‹«, erklärte ihr Vater und berichtete, wie er den Glastropfen gefunden hatte, der aus einer Hütte draußen bei Gusland gestohlen worden war. »Er bekommt ihn morgen zurück«, schloss er.
    Line legte ihn zurück. »Ich glaube nicht, dass es viel Hoffnung für meine Sachen gibt«, sagte sie.
    »Wer weiß?«, erwiderte ihr Vater und zuckte die Schultern.
    Line blieb noch eine Weile stehen und betrachtete die abstrakten, wechselnden Muster, die der farbige Glastropfen schuf. Sie schüttelte den Kopf. Man konnte viele Träume und Hoffnungen für die Zukunft haben, dachte sie. Aber man konnte nie wissen, was dabei herauskam.
    Dann schaltete sie die Lampe aus und ging zu Bett.

73
    Als Wisting am nächsten Morgen zum Präsidium fuhr, schliefen die beiden Frauen noch. Es war Samstagmorgen. Der Regen hatte nachgelassen und die Wolkendecke war aufgerissen.
    Es war still im Polizeigebäude. Keine aufgeregten Stimmen oder schnellen Schritte auf dem Weg durch die Flure.
    Wisting war gespannt, ob die Nacht sie weiter vorangebracht hatte. Er legte den Glastropfen auf den Rand des Schreibtisches und griff sich den Stapel mit neuen Dokumenten. Obenauf lag der Bericht über vorläufige Festnahme einer Person . Klaus Bang. Festgenommen im Fährterminal, Revet 8, 02.27 Uhr.
    Das nächste Dokument war interessanter. Die Vernehmung hatte um 03.15 Uhr begonnen und war von Nils Hammer protokolliert worden. Wisting überflog die fast zehn eng beschriebenen Seiten. Das war mehr, als er erwartet hatte. Der Festgenommene gestand die Mitwirkung an der Einfuhr von zehn Kilo Kokain und lieferte eine detaillierte Beschreibung des Drogennetzwerks und von Rudi Mullers Position darin.
    Hammer klopfte an den Tührrahmen und stand auf der Schwelle, als Wisting fertig gelesen hatte. Wisting konnte ihm ansehen, dass er nicht mehr als ein paar Stunden Schlaf bekommen hatte.
    »Wirklich gut«, sagte Wisting anerkennend und wedelte mit dem Papier.
    Hammer griff sich den bunten Glastropfen, setzte sich und legte ihn auf den Schoß. »Eigentlich war dazu gar nicht viel nötig«, räumte er ein und spielte mit dem Glasstück. »Wir brauchten ihm nur zu sagen, dass der Staatsanwalt keine weiteren Ermittlungen wegen früherer Drogentransporte gegen ihn einleiten wird, falls er ein umfassende Aussage macht, und ihm einen Strafnachlass von vier Jahren in Aussicht zu stellen. Als er dann noch erfuhr, dass sein norwegischer Kooperationspartner wegen Raubüberfalls festgenommen worden war und nur ein paar Zellen weiter saß, war der Rest nicht mehr schwierig.«
    »Hat er gesagt, warum er überhaupt nach Norwegen gekommen ist?«
    Hammer warf den Tropfen von einer Hand in die andere. »Hatte ich das nicht geschrieben?«, fragte er und beugte sich zu Wisting hinüber. »Er war mit Rudi Muller verabredet. Sie wollten über eine Kompensation und über zukünftige Geschäfte sprechen.«
    Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
    »Es gibt aber noch etliche Leute hinter Rudi Muller und Klaus Bang, weißt du«, sagte er und spielte wieder mit dem Glastropfen.
    Wisting nickte. Es gab immer irgendwelche Hintermänner. Hinter jedem Dominostein, der umfiel, stand jedes Mal ein anderer. Meistens waren es die größten und wichtigsten Steine, die stehen
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