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Winter der Zärtlichkeit

Winter der Zärtlichkeit

Titel: Winter der Zärtlichkeit
Autoren: Linda Miller
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„Wie schön wäre es, wenn ich da durchschauen und Andromeda sehen könnte“, meinte er. „Wusstest du, dass sich die gesamte Galaxie auf Kollisionskurs mit der Milchstraße befindet? Da wird die Hölle los sein, wenn die sich treffen.“
    Sierra erschauerte bei dem Gedanken. Die meisten Eltern waren besorgt, dass ihre Kinder zu viele Videospiele spielten. Bei Liam musste man sich eher wegen der Wissenschafts- und Techniksender Sorgen machen, ganz zu schweigen von Sendungen wie Nova. Er beschäftigte sich beispielsweise mit dem Thema, dass die Erde ihr Magnetfeld verlor, und litt unter Albträumen von Kreaturen, die in dunklen Ozeanen unter dicken Eisschichten auf Jupitermonden schwammen. Oder handelte es sich um Saturn?
    „Nicht aufregen, Mom“, sagte er mit einem verständnisvollen Lächeln. „Es wird noch zirka fünf Milliarden Jahre dauern, bevor so was passiert.“
    „Bevor was passiert?“, fragte Sierra blinzelnd.
    „Die Kollision “, erklärte er geduldig.
    „Richtig.“
    Liam gähnte. „Vielleicht werde ich doch einen Mittagsschlaf machen. Aber glaub nicht, dass das jetzt zur Regel wird.“
    Sie strich über sein Haar und küsste seine Stirn. „Das ist mir klar“, dabei griff sie nach der Häkeldecke, die ordentlich gefaltet am Fußende des Bettes lag.
    Nachdem Liam seine Schuhe ausgezogen hatte, streckte er sich erneut gähnend auf der blauen Chenillebettdecke aus. Behutsam legte er seine Brille auf den Nachttisch.
    Beim Zudecken widerstand Sierra der Versuchung, ihn noch einmal auf die Stirn zu küssen. Als sie sich beim Verlassen des Zimmers umdrehte, schlief Liam bereits.

1919

    Hannah McKettrick hörte ihren Sohn bereits lachen, bevor sie um das Haus auf den Stall zuritt. Die Satteltaschen um den Hals des Maultiers waren dick ausgebeult von der Post der letzten Woche. Der Schnee lag stellenweise meterhoch mit hart gefrorener Oberfläche, und der Januarwind blies frostig.
    Als sie ihren Sohn nur mit einer dünnen Jacke und ohne Mütze in der Kälte sah, biss sie die Zähne zusammen. Er und ihr Schwager Doss bauten etwas, das wohl ein Schneefort werden sollte. Ihr Atem formte weiße Wolken in der eisigen Luft.
    Angesichts Doss’ Ähnlichkeit mit seinem Bruder und ihrem verstorbenen Ehemann Gabe zog sich Hannahs Herz qualvoll zusammen. Dabei sollte sie seinen Anblick eigentlich gewohnt sein, da sie unter ein und demselben Dach lebten.
    Sie trieb ihr Maultier mit den Absätzen ihrer Stiefel an, aber Seesaw-Two wurde nicht schneller. Er trottete einfach weiter.
    „Was macht ihr hier draußen?“, rief Hannah.
    Augenblicklich verstummten Tobias und Doss und drehten sich schuldbewusst zu ihr um.
    Die Atemwolken lösten sich auf.
    Tobias richtete sich auf und schob die schmalen Schultern zurück. Er war erst acht. Aber seit Gabes Sarg an einem warmen Sommertag im letzten Jahr in eine amerikanische Flagge gehüllt mit dem Zug nach Hause gebracht worden war, besaß er den Gesichtsausdruck eines Erwachsenen.
    „Wir bauen nur eine Befestigung, Ma“, erklärte er.
    Hannah blinzelte die brennenden Tränen weg. Gabe war als Soldat in einem Armeespital an der Grippe gestorben, ohne das Schlachtfeld auch nur gesehen zu haben. Tobias dachte wie ein Soldat, und Doss spornte ihn dazu an. Beides machte Hannah nicht sehr glücklich.
    „Es ist kalt hier draußen“, sagte sie. „Du holst dir noch den Tod.“
    Doss verlagerte sein Gewicht und schob den verbeulten Hut auf den Hinterkopf. Sein Gesicht verhärtete sich wie das Eis im Teich hinter dem Obstgarten, wo die Obstbäume stoisch mit ihren kahlen Ästen auf den Frühling warteten.
    „Geh ins Haus!“, befahl Hannah ihrem Sohn.
    Zögernd gehorchte Tobias.
    Doss jedoch blieb und sah sie lange an.
    Die Küchentür krachte lautstark ins Schloss.
    „Du solltest ihm so etwas nicht sagen“, bemerkte Doss ruhig. Er hielt Seesaws Zügel fest, während sie vorsichtig abstieg und darauf achtete, dass ihr Wollrock nicht hochrutschte.
    „Tobias hatte letzten Herbst eine Lungenentzündung. Er wäre fast gestorben und ist immer noch schwach, das weißt du genau. Und kaum kehre ich euch den Rücken zu, lockst du ihn nach draußen, um ein Schneefort zu bauen!“
    Sie griffen gleichzeitig nach den Satteltaschen, und nach kurzem Ringen ließ sie los. „Er ist ein Kind“, sagte Doss. „Wenn es nach dir ginge, würde er nichts anderes tun als durchs Teleskop schauen und Schach spielen!“
    „Ich habe durchaus die Absicht, dass es auch weiterhin nach mir geht“,
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