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Winesburg, Ohio (German Edition)

Winesburg, Ohio (German Edition)

Titel: Winesburg, Ohio (German Edition)
Autoren: Sherwood Anderson
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Zuhause gemacht hatten, rar geworden und die Flure, erhellt nur von heruntergedrehten Kerosinlampen, in Düsternis getaucht waren, erlebte Elizabeth Willard ein Abenteuer. Sie war mehrere Tage bettlägerig gewesen, und ihr Sohn war sie nicht besuchen gekommen. Sie war bestürzt. Ihre Sorge fachte die schwache Lebensflamme an, die in ihrem Körper noch flackerte, und so kroch sie aus dem Bett, zog sich an und eilte über den Flur zum Zimmer ihres Sohns, vor übertriebenen Ängsten zitternd. Beim Gehen stützte sie sich mit den Händen und glitt, mühsam atmend, die tapezierten Wände des Flurs entlang. Die Luft pfiff ihr durch die Zähne. Wie sie dahineilte, dachte sie, wie töricht sie doch war. «Er ist mit Jungendingen beschäftigt», sagte
sie sich. «Vielleicht ist er ja abends schon mit Mädchen unterwegs.»
    Elizabeth Willard hatte Angst, von Gästen in dem Hotel gesehen zu werden, das einmal ihrem Vater gehört hatte und dessen Inhaberschaft beim Bezirksgericht noch immer unter ihrem Namen eingetragen war. Das Hotel verlor unablässig an Kundschaft, weil es so schäbig war, und sie fand sich ebenfalls schäbig. Ihr Zimmer lag in einer düsteren Ecke, und wenn sie sich arbeitsfähig glaubte, arbeitete sie freiwillig an den Betten, wobei sie die Tätigkeiten bevorzugte, die verrichtet werden konnten, wenn die Gäste unterwegs waren und sich bei den Händlern Winesburgs um Aufträge bemühten.
    Vor der Zimmertür ihres Sohnes kniete sich die Mutter auf den Boden und horchte auf ein Geräusch von drinnen. Als sie den Jungen herumgehen und leise sprechen hörte, trat ihr ein Lächeln auf die Lippen. George Willard hatte die Angewohnheit, laut mit sich selbst zu reden, und dies zu hören hatte seiner Mutter stets besondere Freude bereitet. Diese seine Angewohnheit festigte, wie sie fand, das geheime Band, das zwischen ihnen existierte. Tausendmal hatte sie wegen der Sache vor sich hin geflüstert. «Er tappt herum, versucht, sich zu finden», dachte sie. «Er ist kein trüber Simpel, nicht bloß Wörter und Gerissenheit. In ihm steckt ein geheimes Etwas, das zu wachsen bestrebt ist. Es ist das, was ich in mir habe töten lassen.»
    In dem Dunkel des Flurs erhob sich die kranke Frau vor der Tür und machte sich wieder zu ihrem Zimmer auf. Sie fürchtete, die Tür werde sich öffnen und der
Junge träfe auf sie. Als sie in sicherer Entfernung war und gerade um eine Ecke in den nächsten Flur biegen wollte, blieb sie stehen und wartete, sich mit den Händen fassend, denn sie glaubte, einen bebenden Schwächeanfall, der sie ergriffen hatte, abschütteln zu müssen. Die Anwesenheit des Jungen in dem Zimmer hatte sie glücklich gemacht. In ihrem Bett, allein während der langen Stunden, hatten sich die kleinen Ängste, die sie heimgesucht hatten, zu Riesen entwickelt. Jetzt waren sie alle verschwunden. «Wenn ich wieder in meinem Zimmer bin, werde ich schlafen», murmelte sie dankbar.
    Doch Elizabeth Willard sollte nicht zu ihrem Bett zurückkehren und schlafen. Als sie da zitternd im Dunkel stand, ging die Tür zum Zimmer ihres Sohnes auf, und heraus trat Tom Willard, der Vater des Jungen. In dem Licht, das aus der Tür strömte, stand er, den Knauf in der Hand, und redete. Was er sagte, erzürnte die Frau.
    Tom Willard hatte mit seinem Sohn Großes vor. Er hatte sich selbst immer für erfolgreich gehalten, obwohl nichts, was er angefangen hatte, je Erfolg beschieden war. War er außer Sichtweite des «New Willard House» und musste nicht befürchten, seiner Frau zu begegnen, schwadronierte er jedenfalls und inszenierte sich als einen der wichtigsten Männer der Stadt. Er wollte, dass sein Sohn Erfolg hatte. Er war es auch, der seinem Sohn die Stellung beim «Winesburg Eagle» verschafft hatte. Nun gab er gerade, und seine Stimme klang ernst, Ratschläge bezüglich einer bestimmten Verhaltensweise. «Ich sag dir was, George, du musst aufwachen», sagte er in scharfem Ton. «Will
Henderson hat mich schon dreimal darauf angesprochen. Er sagt, du hörst stundenlang nicht zu, wenn man mit dir spricht, und verhältst dich wie ein einfältiges Mädchen. Was bekümmert dich?» Tom Willard lachte gutmütig. «Na, ich denke mal, du kommst drüber weg», sagte er. «Das habe ich Will auch gesagt. Du bist nicht dumm, und du bist auch keine Frau. Du bist Tom Willards Sohn, und du wirst aufwachen. Da habe ich keine Angst. Was du sagst, klärt die Sache. Wenn du dir in den Kopf gesetzt hast, Schriftsteller zu werden, weil du
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