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Winesburg, Ohio (German Edition)

Winesburg, Ohio (German Edition)

Titel: Winesburg, Ohio (German Edition)
Autoren: Sherwood Anderson
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schluchzte.
    In ihrem Zimmer, das weit hinten in einem Winkel des alten Willard’schen Hauses lag, entzündete Elizabeth Willard eine Lampe und stellte sie auf die Frisierkommode, die neben der Tür stand. Ihr war ein Gedanke gekommen, sie ging zu einem Schrank, holte eine kleine, viereckige Schachtel heraus und legte sie auf den Tisch. Die Schachtel enthielt Schminkartikel und war neben anderen Dingen von einer Theatertruppe zurückgelassen worden, die einmal in Winesburg gestrandet war. Elizabeth Willard hatte beschlossen, schön zu sein. Ihr Haar war noch immer schwarz und in üppiger Masse um ihren Kopf geflochten und geringelt. In ihren Gedanken entwickelte sich die Szene, die unten im Büro stattfinden sollte. Keine geisterhaft verhärmte Gestalt sollte Tom Willard gegenübertreten, sondern etwas gänzlich Unerwartetes und Verblüffendes. Groß und mit dunklen Wangen und Haaren, die ihr üppig von den Schultern fielen, so sollte die Gestalt vor den verblüfften Faulenzern im Hotelbüro die Treppe herabschreiten. Die Gestalt würde schweigen – es würde schnell geschehen und furchtbar sein. Als Tigerin, deren Junges bedroht wäre, würde sie erscheinen, aus dem Schatten treten, geräuschlos voranschleichen und die lange, tückische Schere in der Hand halten.
    Ein leises, gebrochenes Schluchzen in der Kehle, blies Elizabeth Willard das Licht aus, das auf dem Tisch stand, und stand schwach und zitternd in dem Dunkel. Die Kraft, die einem Wunder gleich in ihrem Körper gewesen war, verließ sie, und sie taumelte halb über den Boden und hielt sich an der Rückenlehne des Stuhls fest, in dem sie so viele lange Tage über die Blechdächer auf die Hauptstraße von Winesburg geschaut hatte. Im Flur erklangen Schritte, und George Willard kam zur Tür herein. Er setzte sich auf einen Stuhl neben seine Mutter und sprach. «Ich gehe weg von hier», sagte er. «Ich weiß nicht, wohin ich gehe und was ich dann tun werde, aber ich gehe weg.»
    Die Frau auf dem Stuhl wartete und bebte. Plötzlich hatte sie eine Eingebung. «Vielleicht ist es besser, du wachst auf», sagte sie. «Das denkst du dir? Dass du in die Stadt gehst und Geld machst, hm? Dass es besser für dich ist, denkst du, Geschäftsmann zu sein, forsch, gewandt und lebendig zu sein?» Sie wartete und bebte.
    Der Sohn schüttelte den Kopf. «Ich schaffe es wohl nicht, mich dir verständlich zu machen, aber wie sehr wünschte ich es mir», sagte er ernst. «Nicht einmal mit Vater kann ich darüber sprechen. Ich versuche es erst gar nicht. Es ist zwecklos. Ich weiß nicht, was ich tun werde. Ich will einfach nur weg und Leute beobachten und nachdenken.»
    Stille senkte sich auf das Zimmer, in dem der Junge und die Frau zusammensaßen. Wieder waren sie, wie an den anderen Abenden, verlegen. Nach einer Weile nahm der Junge erneut einen Anlauf zu reden. «Es wird wohl nicht für ein Jahr oder zwei sein, aber ich denke
darüber nach», sagte er, stand auf und ging zur Tür. «Vater hat etwas gesagt, und das hat klargemacht, dass ich weggehen muss.» Er hantierte am Türknauf. Die Stille im Zimmer wurde der Frau unerträglich. Sie wollte wegen der Worte, die aus dem Mund ihres Sohnes gekommen waren, vor Freude aufschreien, doch die Bekundung von Freude war ihr unmöglich geworden. «Ich finde, es ist besser, du bist draußen bei den Jungs. Du bist zu viel im Haus», sagte sie. «Ich dachte, vielleicht gehe ich ein wenig spazieren», entgegnete der Sohn, trat verlegen aus dem Zimmer und schloss die Tür.

DER PHILOSOPH
    Doktor Parcival war ein fülliger Mann mit einem schlaffen Mund, der von einem gelben Schnurrbart bedeckt war. Er trug stets eine schmutzige weiße Weste, aus deren Taschen etliche jener schwarzen Zigarren ragten, die man als Stogies kennt. Seine Zähne waren schwarz und unregelmäßig, und seine Augen hatten etwas Merkwürdiges. Das Lid des linken zuckte; es fiel herab und fuhr hoch; es war, als wäre das Lid des Auges eine Fensterjalousie und jemand stünde im Kopf des Doktors und spielte mit der Schnur.
    Doktor Parcival empfand eine Zuneigung für den Jungen George Willard. Es begann, als George schon ein Jahr beim «Winesburg Eagle» arbeitete, und die Bekanntschaft kam einzig durch den Doktor zustande.
    Spätnachmittags ging Will Henderson, Besitzer und Herausgeber des «Eagle», stets in Tom Willys Saloon. Durch eine Seitengasse ging er, schlüpfte zur Hintertür des Saloons hinein und trank ein Glas Schlehenschnaps mit Sodawasser. Will Henderson
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