Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel

Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel

Titel: Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel
Autoren: Dorothy L. Sayers
Vom Netzwerk:
verlobte ich mich mit einem richtig braven Mädchen und glaubte, alles sei eitel Sonnenschein. Und eines Tages – aus war’s! Meine Mutter war inzwischen gestorben, und ich lebte für mich allein in Untermiete. Na ja, und eines Tages bekam ich einen Brief von meiner Zukünftigen, in dem sie mir schrieb, sie habe mich am Sonntag in Southend gesehen, und das reiche ihr. Zwischen uns sei alles aus.
    Nun hatte ich mich dummerweise an besagtem Wochenende nicht mit ihr treffen können, weil ich die Grippe hatte. Es ist schon grausam, so allein und krank in Untermiete zu wohnen und niemanden zu haben, der sich um einen kümmert. Man könnte da einfach sterben, und niemand würde was merken. Ich hatte nur ein unmöbliertes Zimmer, verstehn Sie, und keine Zugehfrau, und so war ich die ganze Zeit mutterseelenallein, obwohl es mir ziemlich dreckig ging. Aber meine Angebetete, die sagte, sie hätte mich in Southend mit einer anderen Frau gesehen, und wollte keine Widerrede gelten lassen. Natürlich habe ich sie gefragt, was sie denn ohne mich in Southend zu suchen gehabt habe, und da war’s dann ganz aus. Sie schickte mir den Ring zurück, und damit war, wie man so sagt, das Kapitel abgeschlossen.
    Aber was mich am meisten beunruhigte, war meine Unsicherheit, daß ich nicht einmal wußte, ob ich nicht tatsächlich in Southend gewesen war, ohne es zu wissen. Ich glaubte zwar, ich hätte halb schlafend und krank in meinem Zimmer gelegen, aber daran erinnerte ich mich nur wie durch einen Nebel. Und da ich wußte, was ich zu andern Zeiten schon getrieben hatte – na ja! So oder so konnte ich mich an nichts deutlich erinnern, außer an Fieberträume. Ganz vage konnte ich mich entsinnen, stundenlang irgendwo herumgelaufen zu sein. Im Delirium, dachte ich, aber ebensogut konnte ich im Schlaf gewandelt sein. Auf irgend etwas Konkretes konnte ich mich nicht stützen. Es tat mir sehr weh, meine Zukünftige auf diese Weise zu verlieren, aber darüber hätte ich noch hinwegkommen können, wenn da nicht noch die Angst gewesen wäre, daß ich allmählich den Verstand verlor oder so etwas.
    Sie mögen das alles für dummes Zeug halten und sagen, daß ich mit einem andern Mann meines Namens verwechselt worden war, der mir zufällig auch noch sehr ähnlich sah. Aber jetzt will ich Ihnen noch etwas erzählen.
    Um diese Zeit fing es an, daß ich furchtbare Träume hatte. Eines hatte mir immer Angst gemacht – es hatte mich schon als kleinen Jungen geängstigt. Meine Mutter, die sonst so eine brave Frau war, ging hin und wieder gern ins Kino. Gewiß waren die Filme damals nicht, was sie heute sind, und ich glaube, sie würden uns ziemlich primitiv vorkommen, wenn wir sie noch einmal sehen könnten, aber damals fanden wir sie großartig. Ich glaube, ich war sieben oder acht, als sie mich einmal in so einen Film mitnahm – jetzt fällt mir auch der Titel wieder ein – Der Student von Prag hieß er. Was in dem Film vorkam, weiß ich nicht mehr, aber er handelte von einem jungen Studenten, der sich dem Teufel verkaufte, und eines Tages kam sein Bild eigenmächtig aus dem Spiegel und fing an, schreckliche Untaten zu begehen, so daß jeder glaubte, er sei das gewesen. Zumindest glaube ich, daß es so war, aber die Einzelheiten weiß ich nicht mehr, denn es ist schließlich so lange her. Was ich aber so schnell nicht vergessen werde, ist die Angst, die ich hatte, als ich diese schreckliche Gestalt aus dem Spiegel kommen sah. Es war ein grausiger Anblick, und ich habe geweint und geschrien, bis meine Mutter schließlich mit mir hinausgehen mußte. Monate und Jahre danach habe ich noch davon geträumt. Ich träumte, ich sähe in einen großen, hohen Spiegel, den gleichen wie der Student in dem Film, und nach einer Weile sah ich, wie mein Spiegelbild mich anlächelte, und ging darauf zu und streckte die linke Hand aus, und mein Spiegelbild kam mir mit ausgestreckter rechter Hand entgegen. Und dann drehte es sich plötzlich um – das war der furchtbare Augenblick – kehrte mir den Rücken zu und ging in den Spiegel zurück, wobei es mich über die Schulter angrinste, und plötzlich wußte ich, daß es der wirkliche Mensch und ich nur das Spiegelbild war, und ich wollte ihm nach in den Spiegel, aber dann wurde alles um mich herum grau und neblig, und ich wachte in Angstschweiß gebadet auf.«
    »Höchst unangenehm«, sagte Wimsey. »Diese Legende vom Doppelgänger ist eine der ältesten und verbreitetsten, die es gibt, und sie macht mir immer wieder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher