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Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel

Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel

Titel: Wimsey 10 - Das Bild im Spiegel
Autoren: Dorothy L. Sayers
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ihr seine eigene Deutung.
    »Schock? Das kann man wohl sagen. Es war der Schock meines Lebens! Das Mädchen, das mir die Eier brachte, muß mich für meschugge gehalten haben. Ich fragte sie, was für ein Wochentag sei, und sie sagte: ›Freitag.‹ Da gab’s also gar nichts zu rütteln.
    Nun, ich will mich bei dieser Geschichte nicht zu lange aufhalten, denn das dicke Ende kommt erst noch. Irgendwie brachte ich mein Essen hinunter, und dann ging ich zum Arzt. Er fragte mich, woran ich mich denn als letztes erinnerte, und ich erzählte ihm von dem Kino, worauf er fragte, ob ich bei dem Luftangriff draußen gewesen sei. Ja, und da fiel mir dann alles wieder ein. Ich erinnerte mich, wie die Bombe gefallen war, dann aber an nichts mehr. Er sagte, ich hätte einen Nervenschock erlitten und ein wenig das Gedächtnis verloren, und so was komme oft vor und ich brauchte mir deswegen keine Sorgen zu machen. Dann wollte er mich noch rasch untersuchen, ob ich irgendwie verletzt worden sei. Er fing also an, mich mit dem Stethoskop abzuhorchen, und auf einmal sagte er: ›Nanu, Sie haben ja das Herz auf der falschen Seite, junger Mann!‹
    ›Wie bitte?‹ antwortete ich. ›Das höre ich aber zum erstenmal.‹
    Er hat mich dann also ziemlich gründlich untersucht und mir danach gesagt, was ich Ihnen vorhin sagte, daß nämlich bei mir innen drin alles verkehrtherum sei, und dann wollte er alles mögliche über meine Familie wissen. Ich sagte ihm, daß ich ein Einzelkind gewesen und mein Vater tot sei – er war von einem Lastwagen überfahren worden, als ich zehn war – und daß ich bei meiner Mutter in Brixton wohnte und so weiter. Und er meinte, ich sei ein ungewöhnlicher Fall, aber deswegen brauche man sich keine Sorgen zu machen. Abgesehen von meiner totalen Verdrehtheit sei ich kerngesund, und dann meinte er, ich solle nach Hause gehen und mir ein paar Tage Ruhe gönnen.
    Na ja, das tat ich, und danach fühlte ich mich völlig in Ordnung und dachte, damit sei die Sache erledigt – außer daß ich natürlich meinen Urlaub überzogen und in der Garnison einige Mühe hatte, das denen klarzumachen. Ein paar Monate später wurde dann mein Jahrgang an die Front geschickt, und ich bekam noch einmal Abschiedsurlaub. Nun, und in dieser Zeit wollte ich einmal im Corner House an der Strand eine Tasse Kaffee trinken, unten im Spiegelsaal – Sie kennen ihn sicher, wenn man die Treppe hinuntergeht –«
    Wimsey nickte.
    »All die großen Spiegel ringsum. Als ich zufällig einmal in den Spiegel neben mir schaute, sah ich eine junge Dame, die mich anlächelte, als ob sie mich kennte. Das heißt, ich sah ihr Spiegelbild, wenn sie verstehen. Jedenfalls konnte ich mir keinen Reim darauf machen, denn ich hatte sie noch nie gesehen, also beachtete ich das nicht weiter, weil ich dachte, sie müsse mich mit irgend jemand anderm verwechselt haben. Außerdem glaubte ich zu wissen, zu welcher Sorte Frauen sie gehörte, obwohl ich damals noch nicht so alt war und meine Mutter mich streng erzogen hatte. Ich schaute also weg und trank meinen Kaffee weiter, als plötzlich eine Stimme ganz dicht neben mir sagte:
    ›Hallo, Rotfuchs – willst du mir nicht guten Abend sagen?‹
    Ich sah auf, und da stand sie vor mir. Sie wäre sogar hübsch gewesen, wenn sie sich nicht so angemalt hätte.
    ›Bedaure‹, sagte ich ziemlich steif, ›ich kann mich nicht an Sie erinnern.‹
    ›Aber Rotfuchs!‹ sagte sie. ›Mr. Duckworthy – und das nach Mittwoch nacht!‹ Und dabei hatte sie so etwas Spöttisches im Ton.
    Es störte mich ja nicht so sehr, daß sie mich Rotfuchs nannte, denn so sagt man eben zu einem, der solche Haare hat wie ich, aber daß sie meinen Namen so parat hatte, ich kann Ihnen sagen, das war für mich ein gelinder Schrekken.
    ›Sie scheinen zu glauben, wir kennen uns, Miss‹, sagte ich.
    ›Na, das würde ich wohl meinen, du nicht?‹ versetzte sie.
    So! Ich brauche hier nicht ins einzelne zu gehen. Aus dem, was sie sagte, hörte ich heraus, daß sie glaubte, mich eines Abends kennengelernt und mit zu sich nach Hause genommen zu haben. Und am meisten ängstigte mich, daß sie sagte, es sei in der Nacht des großen Bombenangriffs gewesen.
    ›Du warst es‹, sagte sie, indem sie mir ein wenig verwundert ins Gesicht starrte. ›Natürlich warst du es. Ich hab dich doch gleich erkannt, als ich dein Gesicht im Spiegel sah.‹
    Natürlich konnte ich nicht gut behaupten, daß es nicht so gewesen sein konnte. Ich wußte doch sowenig wie ein
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