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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis
Autoren: Valentin Zahrnt
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säulengetragenen Vordach, das zugleich dem ersten Stock als Balkon diente, hatte etwas Märchenhaftes.
    Ein Strauch wuchs, ohne die Würde des Ortes zu achten, direkt vor den drei flachen Stufen, die von der Veranda zur Wiese führten. Als sie näher traten, entdeckten sie, dass zwischen den Fugen der Veranda Unkraut wucherte und die Spinnen zwischen den Balken ihre Netze gezogen hatten.
    Greg packte den Strauch, zerrte aber vergeblich. „Die olle Mutter Natur hat nur darauf gewartet zurückzuschlagen. Aber wenn sie schon Mutter heißt, was soll man erwarten?“ Er trampelte den Strauch nieder, ehe er die Stufen zur Veranda nahm.
    „Das Haus hat Charme“, sagte Anna. „Ich frage mich zum ersten Mal, ob es nicht doch eine gute Entscheidung war.“
    Greg drehte sich zu ihr um. „Klar war das Haus die richtige Wahl, das wirst du noch sehen.“ Doch Jan schien es, dass Anna von einer anderen Entscheidung gesprochen hatte. Wieso hatte sie sich ihnen angeschlossen?
    Michael schob sich an Greg vorbei, schloss die grünlackierte Tür auf, öffnete und trat ein. Gleich darauf wich er zurück. Gestank schlug ihnen entgegen.
    Sie flohen die Treppe hinunter und waren noch immer dabei, sich über den Gestank zu entsetzen, als Jan Annas Abwesenheit auffiel. Sie musste sich ins Haus gewagt haben. Bevor er etwas sagen konnte, wurde ein Fensterladen aufgestoßen und Anna beugte sich heraus. „Stellt euch nicht so an, nur eine tote Maus und jede Menge Dreck.“ Sie öffnete auch die übrigen Fenster.
    Nachdem sie all ihr Gepäck zum Haus transportiert hatten, ließen sie sich auf der Wiese nieder und durchstöberten die Essenstüten. Der Boden war etwas kühl, doch die Mittagssonne schien warm und sie plauderten über ihre Anreise und die Schönheit des Ortes. Vielleicht wollten sie auch das Putzen hinauszögern, dachte Jan. Doch es half nichts: Drei Stunden lang mussten sie entstauben, fegen und wischen, ehe sie ihr Schloss mit einem Rundgang einweihen konnten.
    Der Eingangsraum, den sie Salon tauften, war bei weitem der größte. Eigenartigerweise waren die Möbel nicht wohnlich verteilt, sondern in einer Ecke übereinandergestapelt gewesen. Sie hatten etliche Liegestühle hinaus auf die Veranda getragen und aus dem verbleibenden Mobiliar zwei Bereiche eingerichtet: zur Linken den wuchtigen Holztisch mit den deplatzierten Designerstühlen, zur Rechten, in einem Halbkreis um den Kamin, das rote Sofa und die noblen, etwas abgewetzten Ledersessel.
    An der Rückwand war links ein Durchgang zur Küche, rechts führte eine Treppe hinauf zum ersten Stock. Zur Speisekammer in der Mitte, in der auch die Werkzeuge lagerten, gelangte man nur über die Küche.
    Die Verteilung der Schlafräume im ersten Stock ergab sich wie von allein. Laura und Jenny teilten sich das Doppelbett im vorderen der zum Balkon hin gelegenen Zimmer. Die Jungs bezogen den Raum daneben, in dem vier Einzelbetten standen. Auf der anderen Seite des Ganges, zur Rückseite des Hauses hin, lag ein schmales Eckzimmer, in dem sich Anna einquartierte.
    Zwischen Eckzimmer und Treppe befand sich das Bad. Michael präsentierte es stolz. Zwar gab es keine Toilette – nur ein Klohäuschen hinter dem Haus –, aber immerhin ein Waschbecken mit Hahn. Er drehte ihn auf, doch nichts passierte. Erst als er den Haupthahn unter einer Luke im Küchenboden geöffnet hatte, schoss eine braune Brühe heraus. Man müsse nur ein bisschen durchlaufen lassen, erklärte er, der Besitzer habe eine höhergelegene Quelle angezapft. Und tatsächlich rann das Wasser bald glasklar durch seine Hände.
    Nachdem sie das Haus eingerichtet hatten, fanden sie sich auf der Veranda ein, um die Umgebung zu erkunden. Nur Michael ließ auf sich warten. Sie schlugen die Messingglocke.
    „16:21“, stellte Laura fest. „Null Handy-Empfang.“ Auch die Anderen konnten sich nicht verbinden.
    „Her damit!“ Michael war herausgetreten und schnappte sich Lauras Handy.
    „He!“
    „Wir sind in der Wildnis. Da kommt es nicht so drauf an, ob es 16:21 oder 16:22 ist. Und auch was deine Freundinnen auf Facebook gepostet haben, tangiert mich ausnahmsweise nur peripher.“
    „Und mir geht dein Gelaber am Arsch vorbei! Ich hab eh keinen Empfang, also gib‘s mir wieder. Da ist auch meine Musik drauf.“
    „Wir lassen die Zivilisation hinter uns. Musik machen wir selbst.“
    „Willst du mich etwa in den Schlaf singen?“
    „Mit ‚I wanna sex you up‘? Das schulde ich dir noch.“ Michael grinste. „Oder lieber
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