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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis
Autoren: Valentin Zahrnt
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er sich nicht auf.
    Warum kämpft er nicht?
    Kämpft er wirklich nicht?
    Doch dann geschieht das Unfassbare, und das schreckliche Ende wird zum Anfang des Schreckens.

Prolog
    „Mama!“
    Er fuhr auf. Was sollte er Lizzy sagen? Konnte eine Dreijährige den Tod ihrer Mutter begreifen? Er trat ans Bett seiner Tochter, beugte sich zu ihr und nahm sie auf den Arm. Sie drückte ihr Gesicht an seine Brust und weinte. „Mama ist tot. Mama kommt nie wieder.“
    Sie hatte es schließlich verstanden, und das machte alles nur noch schlimmer.
    Für einen Sekundenbruchteil drängten die Bilder wieder in sein Bewusstsein. Rachels schlanker Körper nackt auf der purpurnen Tagesdecke, ihre Arme mit Seidenstrümpfen an die Bettpfosten gebunden, ihr Hals von einem Ledergürtel umschlossen: Es sah aus wie eines ihrer Spiele, in die er sich fügte. Er sollte sie beherrschen, und dann befreite sie sich, setzte sich auf ihn und genoss. Sie liebte die Gewalt, die ihn ängstigte, doch nun war ihr Gewalt angetan worden. Seine Finger berührten das rote Rinnsal, folgten ihm von der Gürtelschnalle über ihren Hals. Ein geronnener Tropfen brach auf und verlief sich auf seiner Haut.
    Zitternd riss er sich los aus dieser unwirklichen, überwirklichen Bilderwelt, durch die er die ganze Nacht getrieben war. Sein Blick fiel auf die weiße Wand und er wünschte sich, dass sein Geist ebenso leer wäre. So leer, dass auch dieses Schattenhafte, Schemenhafte verschwände, das er vergeblich mit dem Erwachen hinter sich zu lassen gehofft hatte. Wie Schwemmgut eines vergessenen Traumes. Als würden die schrecklichen Bilder doppelt durch sein Bewusstsein driften, als wären die ausgewaschenen älter als Rachels Tod.
    Endlich fand er Worte. „Lizzy … meine Prinzessin. Hab keine Angst. Es wird gut. Es ist furchtbar … aber es wird wieder gut.“
    So etwas hatte ihm der Kommissar auch gesagt, als er ihn zu allen Männern befragte, mit denen seine Frau Umgang pflegte. Es hatte Tim widerstrebt, über seine Freunde zu sprechen, und geärgert, über Fremde spekulieren zu sollen. Was wusste er schon von ihrem Aerobic-Trainer, außer dass er sich seinen Namen nie merken konnte? Oder vom Versicherungsberater, der ungewöhnlich oft für eine vormittägliche Besprechung ins Haus gekommen sei, wenn Lizzy in der Kinderkrippe war?
    Hatten die seltsamen letzten Wochen Rachels Tod angekündigt? Sie war so reizbar gewesen, noch wechselhafter als sonst und manchmal hatte sie sogar um ihn geworben. Sonst hatte sie sich nie dazu herabgelassen, ihm zu gefallen, aber am vorgestrigen Abend hatte sie ihn fast inbrünstig für sich einzunehmen gesucht.
    Lizzy hob den Kopf und schaute ihm in die Augen. „Musst du auch ster–“ Ihre Stimme erstickte und sie vergrub ihren blonden Kopf wieder in seinem Pyjama.
    „Ich bleibe immer bei dir und passe auf dich auf. Versprochen. Du brauchst keine Angst zu haben, du kannst Papa vertrauen.“ Er wiegte sie, streichelte sie, summte mit kurzem Atem ein Kinderlied.
    Dann brach er ab. Ein Trampeln auf der Treppe. Die Tür wurde aufgestoßen, zwei Polizisten stürmten mit gezogener Waffe herein. „Setzen Sie das Kind ab und heben Sie die Hände. Sonst keine Bewegung.“
    Als der Kommissar wenige Sekunden später herbeieilte, strampelte Lizzy bereits in den Armen des anderen Polizisten.
    „Tim Gladman, Sie sind verhaftet wegen Mordes an Rachel Gladman.“
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