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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis
Autoren: Valentin Zahrnt
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wie er an den Erfolg einer weiteren List à la Anna glaubten. Doch da packte ihn ein Einfall, den er selbst noch nicht recht begriff. „Wir könnten ihnen die Karte dalassen!“
    „Die Mörder scheinen sich auch so zurechtzufinden“, sagte Jenny kühl. „Aber wie sollen wir ohne Karte über die Berge?“
    „Die Mörder ...“, Jan bemühte sich, seinen Plan zu erfassen, „sie sollen glauben, dass wir über die Berge gehen ... damit sie uns zur Schlucht lassen! Wir könnten die falsche Route mit einem Kugelschreiber einzeichnen und die Karte anschließend verlieren.“
    „Stimmt“, sagte Michael. „Hier, direkt am Fluss über den Absatz könnte man zum Gletscher gelangen, das ist haarig, aber danach kommt man auf dem Rücken ein gutes Stück weiter, und wenn man sich rechts hält ...“
    Die Topographie war Jan von seinem frühmorgendlichen Kartenstudium noch vertraut. „Ob die Route für uns gangbar ist, können wir nicht wissen. Zumindest ist es glaubwürdig, dass wir sie versuchen wollen, gerade weil sie schwierig und damit wenig vorhersehbar ist.“
    Jenny verdrehte die Augen. „So dumm sind sie nicht, dass sie auf so etwas reinfallen. Wenn sie die Karte finden, wissen sie, dass wir wissen, dass wir sie verloren haben und sie sie also finden könnten. Sie werden davon ausgehen, dass wir unseren Plan ändern – und wenn wir das nicht tun, werden sie den Trick durchschauen.“
    „Nein“, sagte Anna, „Jans Idee ist brillant. Natürlich werden wir nicht einfach die Karte liegen lassen. Wir werden einen Teil unserer Ausrüstung verlieren. Weil wir kopflos davonrennen. Das wird unsere Verfolger freuen und ihr Misstrauen besänftigen. Sie können denken, dass wir annehmen, dass sie uns verfolgt und die Karte daher nicht gefunden haben.“
    „Wie sollen wir das anstellen?“, fragte Jan.
    „Das dürfen wir nicht zu genau absprechen“, antwortete Anna, „sonst sieht es künstlich aus. In einem geeigneten Augenblick gerate ich in Panik. Michael, du holst bei der nächsten Pause deine Karte hervor, und wenn du mir hinterherläufst, hast du keine Zeit, sie einzustecken. Du versorgst uns auch mit Proviant und packst davon ordentlich aus. Den absichtlich liegen zu lassen, werden uns die Mörder nicht zutrauen.“
    „Du bist genial!“
    „Jan ist brillant, Anna ist genial“, sagte Jenny, „und ich bin einverstanden. Wir müssen Risiken eingehen. Ich wollte bloß verhindern, dass wir unseren Selbstmord im Fluss vorprogrammieren.“
    Michael lächelte schwach. „Wir haben alle gesehen, dass kaltes Wasser nicht so deine Sache ist.“
    Sie stürmten gemeinsam aus dem Gebüsch hervor, als wolle keiner der Letzte sein, und rannten bis zum Waldrand, vor dem sie abrupt stoppten, bis Jenny mit dem Gewehr im Anschlag die Führung übernahm. Unentwegt blickten sie sich um, wechselten das Tempo, rempelten sich an, drängten sich zusammen und deuteten auf mögliche Hinterhalte.
    Nach einer Stunde schrie Anna auf, brach seitlich in den Wald aus, schreckte zurück und warf sich Jan in die Arme. Sie setzten sich nieder und gaben ihr zu essen und zu trinken. Währenddessen studierten Michael und Jenny die Karte.
    Ein Tier röhrte in der Ferne. Jan zuckte zusammen. War das ein Elch? Ein Bär? Da riss sich Anna los und floh erneut durch den Wald. Die Anderen sprangen auf und ihr nach, doch immer, wenn sie Anna fast packen konnten, beschleunigte sie und Jan fragte sich, ob sie nicht tatsächlich schneller laufen konnte als er. Erst nach einigen Minuten gelang es Michael, der neben seinem auch Annas Rucksack tragen musste, sie festzuhalten.
    Nach einer weiteren Viertelstunde taten sie so, als würden sie zu ihrem Rastplatz zurückkehren wollen, um Proviant, Taschenmesser und Karte einzusammeln – hielten sich jedoch zu weit links und setzten schließlich mit allen Anzeichen von Niedergeschlagenheit ihren Marsch fort. Innerlich jubelte Jan: Endlich hatten sie einen Sieg über ihren unsichtbaren, übermächtigen Feind erzielt.
    Und noch etwas gab Jan Hoffnung: Heute hatten sie gemeinsam Pläne gefasst und danach gehandelt. Welch Unterschied zu gestern, als Jenny sie auf ihre lange Wanderung geschickt hatte, ohne sie in das, was sie in der Höhle erfahren hatte, einzuweihen. Und dann der nächtliche Streit mit Anna.
    Seit wann war Jenny eigentlich so unerbittlich? Seit Laura entführt worden war? Nein, in jener Nacht hatte sie tapfer und unauffällig mitgehalten, während Anna die Gruppe vorantrieb. Die Härte, mit der sie die
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