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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis
Autoren: Valentin Zahrnt
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Erste-Hilfe-Koffer. Wir haben alles dabei: Verbände, Medikamente, sogar Spritzen. Was ist denn? Frag doch einfach, wir sind hier nicht in der Schule.“ Anna hatte sich gemeldet.
    „Würdest du Adrenalin subcutan, intramuskulär oder intravenös spritzen?“
    „Wie bitte? Was weiß ich! Das steht auf den Spritzen drauf. Außerdem haben wir ein Medizinbuch dabei.“
    „Keine weiteren Fragen, Herr Chefarzt.“
    „Wenn euer Herz zu schnell klopft, wendet euch an unsere aufreizende Krankenschwester Anna.“ Sogleich milderte er seinen bissigen Ton mit einem Lächeln ab. Jan wunderte sich, wie nachsichtig Michael auf Annas zweiten Affront reagierte – sonst wies er aufsässige Zuhörer freundlich-vernichtend zurecht.
    „Kennst du dich wirklich damit aus?“, wollte Jenny von Anna wissen, doch die zuckte nur mit den Schultern.
    Michael setzte seinen Vortrag fort: „Die letzte Vorsichtsmaßnahme. Wir haben ein Gewehr dabei. Der Kollege von Gregs Daddy, der uns auch den Alkohol beschafft hat, fand es unvernünftig, uns ohne Waffe in die Wildnis ziehen zu lassen. Also hat er Greg einen Jagdschein besorgt, der hier in Alaska praktischerweise zugleich als Waffenschein dient. Greg kann mit dem Gewehr umgehen. Sonst fasst es niemand an. Verstanden?“
    „Wozu brauchen wir ein Gewehr?“, meldete sich Jenny wieder.
    „Zum einen werden wir jagen. Zum anderen weiß man nie. Es gibt hier Schwarzbären und Grizzlys, die –“
    „Jetzt bin ich dran“, Greg wuchtete sich aus dem tiefen Sessel. Michael setzte sich widerwillig.
    „Bären sind Killer. Sie rennen schneller als ein Mensch und können mit einem Prankenschlag töten. Zum Glück sind Bären auch Schisser und nehmen vor uns Reißaus. Wir müssen bloß aufpassen, dass wir sie nicht überraschen. Also macht Lärm, wenn ihr rumlauft. Schreit ab und an ‚Greg ist der Beste‘ oder so was. Dann passiert euch nichts.“
    Laura lachte. „Dann wissen die Bären nämlich, dass wir Scherzkekse sind, und darauf haben sie keinen Appetit.“
    Jan erwartete den nächsten Zoff, doch Greg fiel in ihr Lachen ein „Von wegen Kekse ... Macht immer die Tür zum Haus zu und lasst draußen kein Essen rumliegen. Wenn ihr ein totes Tier findet, haltet Abstand. Vielleicht ist ein Bär in der Nähe, der seinen Fang verteidigt. Wenn euch trotzdem ein Bär nahekommt, lauft nicht weg. Bleibt stehen, macht Lärm, rudert mit den Armen. Quietscht nicht, Mädels, sonst hält euch das arme Biest für Futter. Greift euch der Bär an, müsst ihr euch tot stellen und auf Greg und seine Wumme hoffen. Noch Fragen?“
    „Ich finde, wir sollten uns irgendwie absprechen,“ sagte Jan. „Wo wir hingehen und wann wir zurück sind.“
    „Wer will Jans Ersatzmama spielen?“
    „So meine ich das nicht. Nur bei längeren Ausflügen. Wir können ausmachen, dass um acht Uhr abends alle wieder am Haus sind. So bleibt uns noch Zeit, nach Fehlenden zu suchen.“
    Laura lachte los. „Dann muss Michael die Handys wieder rausrücken.“
    „Es dürfte jetzt zwischen sieben und acht sein“, sagte Michael. „Wenn ihr hinter uns aus dem Fenster schaut, seht ihr, dass die Sonne bald verschwindet. Mit dem Schatten kommen die letzten Unternehmungslustigen zurück ins Nest. Abgemacht?“
    Alle nickten.
    „Du wolltest uns noch erzählen, wieso das Tal so einsam ist“, erinnerte ihn Laura.
    „Wir sollten uns den Sonnenuntergang nicht entgehen lassen. Danach kommt die Geschichte.“
    Das Licht fiel golden über die Baumwipfel auf die Veranda, doch die kühle Luft drang schnell durch ihre Kleider. Jenny verschwand im Haus und brachte Decken.
    „Was für ein Bild!“, rief Laura. „Sechs Mumien beim Sonnenbaden.“
    Die Sonne schien sich auf die schwarzen Zacken zu stürzen, von ihnen zerteilt zu werden und in drei Spalten zugleich unterzugehen.
    Als sie wieder auf den Sesseln Platz genommen hatten, rief Jenny: „Brr! Mir ist kalt!“
    „Du hast die Wahl“, erwiderte Greg. „Entweder ich mache ein Feuer an oder du kommst zu mir auf den Schoß und ich heize dir richtig ein ... Ich glaube, auf den Schoß traust du dich erst morgen.“
    Er nahm etliche der Scheite, die sie hinter dem Haus gefunden und beim Kamin aufgeschichtet hatten, und brachte das Feuer in Gang. Währenddessen versorgte Michael die Runde mit Whiskey.
    Sie stießen an.
    „Das mit dem Tal ...“, begann Michael. „Ich habe lange gesucht, um das perfekte Plätzchen zu finden. Wir sollten ganz unter uns sein, aber nicht so weit im Norden, dass wir
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