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Wildnis

Wildnis

Titel: Wildnis
Autoren: Valentin Zahrnt
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eine Ballettschule in Paris habe.“
    „Aber wir fliegen doch nur für vier Wochen.“
    „Und ich habe nur zehn Wochen, um mich vorzubereiten.“
    Jan schaute zu Boden.
    „Du hättest dich wirklich gefreut, wenn ich mitgekommen wäre. Das ist lieb von dir“, sagte sie sanft, drückte ihn kurz an sich und ließ ihn stehen.
    Er fühlte ihrer Berührung nach, als er Michaels Stimme neben sich hörte: „Hat sie dich verhext?“
    „Schlimmer.“
    „Wird sie dich in Alaska davon heilen?“
    „Nein, sie bleibt hier.“
    „Was? Wieso? Ihr habt euch doch gut verstanden.“
    „Sie muss trainieren, für die Aufnahmeprüfungen fürs Ballett in Paris. Nichts zu machen.“
    „So leicht gebe ich mich nicht geschlagen.“ Michael wollte ihr nacheilen, doch Jan hielt ihn zurück.
    „Keine Chance, nicht einmal du. Wenn Anna sich entschlossen hat ...“

1. Tag
    „A-las-ka“, jubelte Laura. „Die Busfahrt war schon der Wahnsinn, aber das hier ... Da, seht ihr den Gipfel, ganz oben? Komm rüber, Greg, von deinem Fenster aus kannst du ihn nicht sehen, der ist noch höher als die davor!“
    Greg beugte sich über den schmalen Gang in der ersten Reihe zu Laura. Jan konnte nur seinen Rücken sehen.
    „Wenn du‘s nicht wärst, würde ich dir jetzt eine scheuern“, kicherte sie.
    „Wenn du‘s nicht wärst, würde ich das nicht machen“, raunte Greg.
    „Öffne halt deinen Gurt.“
    „Du hast keine Erfahrung mit Propellermaschinen. Die können plötzlich wegsacken und du schießt wie bei einem Schleudersitz nach oben, bloß dass die Decke davor nicht aufklappt.“
    „Ohne Fallschirm würde dir das auch nicht helfen.“
    „Kein Mist, als ich mit meinem Vater in Kenia war –“
    „Das war vor zwei Jahren, oder? Mit diesem abgefahrenen Fünf-Sterne-Hotel mitten in der Savanne.“
    Jan holte die Kopfhörer aus seiner Tasche hervor und entwirrte eilig das Kabel.
    „Bingo“, sagte Greg. „Wir hatten erst ein paar Tage am Meer relaxed und wollten in ein Game Reserve, das ist wie ein Nationalpark, bloß privat.“
    Jan setzte die Kopfhörer auf.
    „In den öffentlichen Parks sieht man mehr Touristen als Löwen und –“ Beethoven verdrängte Greg.
    Sie folgten einem gewaltigen Gletscher, der sich behäbig den Berg hinaufwand. Der Gletscher schien nicht hinabzufließen, sondern emporzusteigen, um ihnen den Weg zum Gipfel zu weisen, dessen zerklüftete, überfrorene Zinnen langsam ins Blickfeld wanderten. Schnee, Eis und Fels, weiß, grau und schwarz, höchstens ein Türkisschimmer an den Gletscherabbrüchen, sonst nichts, keine Pflanzen, keine Tiere, keine Menschen, kein Werden und Vergehen, eine Welt ohne Gier und Neid, Lüge oder Gewalt, eine leblose Welt, unsterblich schön.
    Der vierte Satz der siebten Symphonie begann. Jan fühlte, wie das Flugzeug zu eng war, um die Musik zu halten, wie sie hinaus wollte, das ganze Tal zu erfüllen. Sein Körper vibrierte, doch er hielt seine Hände zurück.
    Vor ihnen wuchs eine Wand immer höher in den Himmel, die weiße Ebene blieb zurück. Die Cesna zog nun steiler hinauf – und ruckelte. Jan spürte, wie ein flaues Gefühl sich in seinem Magen ausbreitete. Der Pilot wusste sicher, was er tat, er wollte seinen Gästen ein aufregendes Erlebnis bieten, das war alles. Über ihnen tauchte die Kammlinie auf und verschwand wieder. Jan riss sich die Kopfhörer von den Ohren. Hinter ihm würgte Michael. Er drehte sich lieber nicht um.
    Plötzlich leuchtete der blaue Himmel wieder auf, füllte das Fenster immer mehr aus, ein Felsgrat verschwand unter ihnen und vor ihnen öffnete sich der Blick auf ein strahlendes Gipfelmeer. Weiße Wellen, riesig, friedlich, grenzenlos.
    „Jippie!“, schrie Laura. „Wir sind die Größten!“
    „We are the champions“, stimmte Greg an.
    Jan war versucht, die Kopfhörer wieder aufzusetzen. Stattdessen fragte er: „Alles o.k. bei dir, Michael?“
    „Kein Problem“, kam nach einigen Sekunden die matte Antwort.
    „Stewardess, einmal Champagner für den Herrn!“ Gregs Arm wedelte gebieterisch in der Luft. Das Geschaukel schien ihm nichts ausgemacht zu haben. „Zu blöd, dass dies ein Nicht-Alkoholiker-Flug ist.“
    „Das nächste Mal nehme ich einen Nicht-Dummschwätzer-Flug“, fauchte Anna von hinten.
    „Verratet ihr uns jetzt endlich mehr?“ Jenny beugte sich in den Gang. „Ich bin so neugierig.“
    „Läuft doch alles wie im Film“, erwiderte Michael, schon etwas lebhafter. „Willst du wirklich das Drehbuch kennenlernen?“
    Jenny hob
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