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Wilder Engel (German Edition)

Wilder Engel (German Edition)

Titel: Wilder Engel (German Edition)
Autoren: Jeanette Sanders
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immerhin war er als Saal-Assistent für uns Erstsemester so etwas wie ein verlängerter Arm des Lehrkörpers.
    Hatte wohl Angst, sein Doktorvater könnte Wind von der Sache bekommen und ihn aufs akademische Abstellgleis schieben. Und das wollte er dann doch nicht riskieren, der gute Berthold. Nicht einmal wegen mir.
    Immerhin aber hat er mir damals geholfen, also bin ich auch immer nett zu ihm gewesen.
    Wenn ich noch an diesen verdammten Kristall denke, den wir damals züchten sollten als erste Laborübung!
    Alle meine Studienkollegen erledigten das mit links: so und so viel Gramm eines bestimmten Salzes in so und so viel Milliliter Wasser kippen, die Brühe bei Raumtemperatur durchquirlen, anschließend einen seidenen Faden als Attraktor reinhängen, stehen lassen und abwarten.
    Nach einigen Tagen sollte sich angeblich unvermeidlich ein ebenso wunderschöner wie hexagonaler oder was-auch-immer-für-eine-Form-habender Kristall am Ende des Fadens gebildet haben.
    Tja, bei meinen Mit-Studenten klappte es auch, genau wie im »Labor-Kochbuch« beschrieben.
    Bei mir dagegen – Pustekuchen!
    Ich wiederholte die lästige Übung noch Dutzende Male, bis ich völlig mit den Nerven am Ende war.
    Es bildete sich aber entweder so gut wie fast gar nichts an meinen Fadenenden. Oder etwas abgrundtief Hässliches, das aussah wie winzige abgetriebene Mäuseföten.
    Eines Tages heulte ich dann beim Mittagessen in der Mensa in mein Suppentöpfchen.
    Berthold kam zufällig mit seinem Tablett an meinem Tisch in einer zugigen Ecke vorbei, wo ich ganz alleine saß und mit meinem jungen Leben haderte. (Und innerlich auch mit meinem Vater, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, nur eine akademisch-naturwissenschaftlich ausgebildete Tochter als legitimes Kind anerkennen zu wollen.)
    Berthold setzte sich also zu mir und kam gleich zur Sache:
    »Es ist wegen dem Kristall, stimmt’s?«
    Ich nickte und löffelte stumm meine dünne Mensa-Gemüsesuppe.
    »Hm«, sagte Berthold. »Ich kann Ihnen auch nicht sagen, woran es liegt. Ich habe so etwas noch nie erlebt. Normalerweise ist es das Einfachste von der Welt, diese Art von Kristall zu züchten. Jedes Kind kriegt das hin.«
    »Oh sicher«, sagte ich bitter. »Das erzählt mir jeder. Vielleicht sollte man diese angebliche Tatsache aber auch dem Kristall verklickern. Der meine scheint nämlich nichts davon zu wissen.«
    »Vielleicht liegt es an der Einstellung!«, sagte Berthold. Unter dem Tisch berührten sich unsere Knie. Ich nahm augenblicklich meine Beine zur Seite.
    »Geniale Idee. Mein Kristall hat garantiert die falsche Einstellung!«
    Jetzt lachte Berthold herzlich. Dann beugte er sich vor und legte tatsächlich seine Hand auf meine: »Nein, Angela. Ich meinte eigentlich deine Einstellung!«
    Er duzte mich plötzlich und zum ersten Mal! Bei mir schrillten in diesem Moment natürlich sämtliche Alarmglocken. Außerdem sah ich definitiv meine Chance gekommen.
    Ja, okay, ich gebe es zu – ich beschloss in dem Augenblick, die Eva zu geben und einen Apfel gegen einen Kristall zu tauschen.
    Selbst auf die Gefahr hin, dafür nie wieder ins Paradies gelassen zu werden.
    »Was soll ich jetzt bloß machen?«, seufzte ich abgrundtief und schenkte Berthold dabei einen tiefen Blick aus Kulleraugen. »Wenn ich den Erstsemester-Schein nicht kriege, kann ich das Studium gleich hinwerfen. Mein Daddy bringt mich um.«
    Berthold erwiderte meinen tiefen Blick: »Das kenne ich! Ich komme schließlich auch aus einem stockkonservativen Elternhaus. Nur als fertiger Akademiker kannst du bei meinen Erzeugern punkten. Weißt du was ? Ich züchte dir einen Kristall. Als kleines Geschenk anstelle eines Blumenstraußes.«
    »Das kann ich eigentlich nicht annehmen«, sagte ich  – und fügte rasch hinzu: »Das vergesse ich Ihnen nie, ehrlich.«
    Ich duzte ihn konsequent nicht zurück, schon aus Prinzip nicht. Außerdem hatte ich mich bereits weit genug aus dem Fenster gelehnt, wie ich fand.
    Und so kam es dann, dass ich meinen Kristall – einen wirklich wunderschönen, dicken und besonders großen und außerdem hexagonalen – doch noch kriegte. Und den Erstsemester-Schein in anorganischer Chemie in der Folge auch.
    Natürlich hätte ich mir damals in der Mensa schon ausrechnen können, dass ich irgendwann im Leben mal den Preis für meine frivole Tat zu berappen haben würde.
    Jetzt scheint es so weit zu sein, jetzt soll ich wohl Dr. Berthold Aschenbrenner abkriegen!
    Und irgendwie fehlt mir auch hierzu die
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