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Wilder als Hass, süsser als Liebe

Wilder als Hass, süsser als Liebe

Titel: Wilder als Hass, süsser als Liebe
Autoren: Mary Jo Putney
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eigentlich tot sein müssen, denn ich war sehr weit von der Küste entfernt, und plötzlich kam ein Wind auf. Als der Sturm zu wüten begann, dachte ich, ich würde wirklich ertrinken - ich kann mich noch an jede entsetzliche Einzelheit erinnern, bis ich das Bewußtsein verlor. Inzwischen mußte ich aber schon ziemlich nah an die Küste herangetrieben worden sein, denn ich erfuhr später, daß die Wellen mich sanft ans Ufer in die Nähe einer Fischerhütte ge-schwemmt hatten. Der Fischer und seine Frau holten mich nackt und blutend herein.«
    Juliet wandte sich ihm zu, und ihr Teint war totenbleich. »Und dort, in der Hütte, hatte ich eine Fehlgeburt. Ich habe unser Kind umgebracht, ROSS!« Stumme Tränen liefen über ihre Wangen.
    »Du wolltest das Schlimmste hören, und hier hast du es. Ich habe versucht, mich selbst umzubringen — und statt dessen unser Kind getötet.«
    Sie hatte ihn gewarnt, aber dennoch war de& vernichtende Schock der Geschichte, die sie erzählt hatte, gewaltiger als alles, was er sich je vorgestellt hatte. Es fühlte sich an, als hätte man einen eisernen Reif um seine Brust
    gelegt, der sich nun zusammenzog und sein Herz und seine Seele zerquetschte. Blind drehte er sich zum Fenster und stieß die Läden auf, als seine malträtierten Lungen um Luft rangen. Dann starrte er in die Nacht hinaus. Er war so durchdrungen von Schmerz, daß er ihn nicht mehr von Juliets trennen konnte.
    Also hatten sie ein Baby gehabt. Das Kind wäre jetzt fast zwölf, aber wäre es ein Junge oder ein Mädchen geworden? Rothaarig oder blond oder irgendeine unerklärliche Abweichung? Er versuchte, sich ein Bild davon zu machen, aber er konnte es nicht.
    Statt dessen holte sein Unterbewußtsein eine halbvergessene Erinnerung hervor.
    ROSS war das einzige Kind gewesen, das seine Mutter zur Welt gebracht hatte, und als er volljährig geworden war, hatte sie ihm erzählt, sie habe nach ihm drei Fehlgeburten gehabt. Wegen ihrer Lebhaftigkeit hatte man seine Mutter immer »die lachende Duchess« genannt, während ihre Zwillingsschwester, Saras Mutter, den Spitznamen »die lächelnde Duchess« erhalten hatte.
    Doch einmal, als ROSS etwa vier Jahre gewesen war, hatte er seine Mutter zusammengekauert in einem Winkel des großen Saales in ihrem Anwesen gefunden. Sie hatte hysterisch geweint, ihr schönes Gesicht war von ihren eigenen Nägeln zerschunden gewesen. Entsetzt war er losgelaufen, um Hilfe zu holen.
    Es hatte Stunden gedauert, bis sein Vater seine Frau lange genug allein lassen konnte, um seinen Sohn zu suchen, der sich in einer Ecke auf dem Speicher verkrochen hatte. Sein Vater hatte ihn mühsam hervorgelockt, auf seinen Schoß gesetzt und ihm mit kaum verhohlenem Kummer erzählt, daß sie sich ein Kind gewünscht hatten, das sie genauso wie ihn, ROSS, hätten lieben können, aber daß es nicht sein sollte und seine Mutter nun das Baby betrauerte, das niemals geboren werden würde.
    Es brauchte lange, bis die Duchess wieder wie früher war, und sie wurde nicht mehr schwanger - ROSS nahm an, daß sein Vater Vorkehrungen getroffen hatte, um seiner Frau weitere körperliche und seelische Qualen zu ersparen, aber ROSS konnte den Gram seiner Eltern niemals vergessen. Und nun, zwölf Jahre später, konnte er ihren Kummer nachvollziehen.
    Und doch war es nur eine Qual unter vielen, ein sehnsuchtsvoller ferner Schmerz, der nicht wirklich real war. Viel unmittelbarer war die herzzerreißende Geschichte von dem, was auf Malta geschehen war. Wie ein Kaleidoskop, das man kurz drehte, hatte die gesamte Vergangenheit nun ein vollkommen anderes Muster angenommen.
    Nun, da er alles wußte, konnte er ihre Behauptung glauben, daß sie niemals aufgehört hatte, ihn zu lieben, denn er verstand, daß sie nicht Mangel an Liebe von ihm ferngehalten hatte, sondern ihr Schuldgefühl, das ihre Seele auffraß. Wenn die Vorzeichen umgekehrt gewesen wären, hätte er sich wahrscheinlich genauso schändlich und wertlos gefühlt, und da er dies begriff, konnte er sie nicht verdammen.
    Der Wind streichelte sein Gesicht wie eine kühle Hand, und er merkte, daß seine Wangen feucht waren. Es war passend, denn er hatte das letzte Mal auf Malta geweint, als er den Verlust seiner Frau beklagt hatte. Damals hatte er um seiner selbst willen Tränen vergossen, doch diesmal weinte er um Juliet und um das Wissen, wie anders die Dinge sich hätten entwickeln können.
    Es war ein Beweis für Juliets grimmiges Ehrgefühl, sich selbst die Schuld an der Sache
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