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Wikingerfeuer

Wikingerfeuer

Titel: Wikingerfeuer
Autoren: Shirley Waters
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kein guter Christ«, flüsterte Arien.
    Stimmt , dachte Rúna. Der Engländer hatte schließlich mit all der Kraft seiner Arme zurückgeschlagen.
    Yngvarr stapfte auf ihn zu und schlug ihm unvermittelt auf die Wange, sodass sein Kopf nach hinten flog. Nur die schnelle Reaktion der Lanzenträger verhinderte, dass er sich ernsthaft verletzte. Bedächtig drehte der Engländer den Kopf in Yngvarrs Richtung. Sein Blick schien aus purem Eisen zu bestehen. Doch er schlug nicht zurück. »Ein Leichtes, Geld aus seiner Familie zu pressen, vermute ich«, sagte Yngvarr an Baldvin gewandt. Der hatte die blonden Brauen, dicht wie Büsche, gerunzelt.
    »Fesselt ihn an den Mast«, wies er die Männer an. »Rúna! Komm her! Wo ist mein aufmüpfiges Töchterlein?«
    Ihr gefiel es nicht, unter die Augen des Fremden zu treten. Doch sie gehorchte, straffte sich und marschierte an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
    »Vater?«
    »Hier, mein Wirbelwind.« Baldvin, der die Kette von der Klinge gezogen und notdürftig das Blut mit den Fingern abgewischt hatte, hielt sie ihr hin. Er entblößte seine gelben Zähne zu einem entschuldigenden Grinsen. Rúna wollte diesen Schmuck nicht, doch ihre Hand schien ein Eigenleben zu führen, und schon lag der Kristall auf ihrer Handfläche.
    An der Schulter drehte Baldvin sie dem Engländer zu. »Das ist Rúna, meine einzige Tochter, mein Wirbelwind. Die schönste Frau, die die Götter je erschaffen haben. Und eine Kämpferin dazu. Du kannst dich nicht darüber beschweren, dass sie es sein wird, die diese Kette tragen wird, nicht wahr?«
    Yngvarr hatte es sich nicht nehmen lassen, die Hände des Gefangenen in dessen Rücken zu fesseln, was dieser stoisch über sich ergehen ließ. Nun stieß er ihn an Rúna vorbei in Richtung Mast. Rouwen, endlich von den lästigen Lanzenspitzen befreit, hob stolz den Kopf. Er murmelte etwas, das vielleicht ein Gebet war. Sein flüchtiger Blick, der ihren nur streifte, ging ihr durch Mark und Bein. Seine Bernstein-Augen schienen von innen zu glühen – so kam es ihr zumindest vor. Sie ballte die Faust um die Kette, unfähig zu entscheiden, ob sie sich über das Geschenk freuen oder es ins Meer werfen sollte – wo es der Fremde zweifellos lieber sähe als in ihrer Hand.
    Herr im Himmel, steh mir bei. Jesus, sei bei mir , sprach Rouwen in Gedanken und überlegte, wie er es schaffen könnte, sich aus seinen Fesseln zu befreien, ein Schwert an sich zu reißen und all diese merkwürdigen Gestalten in die Hölle zu schicken.
    Er hockte an den Mast gelehnt, über sich das geblähte Segel. Ein dickes Tau um seinen Rumpf und seine Arme ließ ihm so gut wie keine Bewegungsfreiheit. Rechts und links saßen an den Riemen die Wikinger und ließen ihre Muskeln spielen. Nicht alle ruderten, denn der Wind kam günstig von achtern. Andere schöpften Bilgenwasser, flochten Taue, pflegten die Klingen ihrer Messer und Schwerter mit Wollfett; wieder andere halfen dem Schiffszimmermann, bei voller Fahrt eine beschädigte Stelle in der Bordwand auszubessern. Keiner ließ sich von dem leichten Regen stören, der auf sie alle hinab fiel. Der Herr dieser Horde marschierte auf dem Deck auf und ab, inspizierte die Tätigkeiten seiner Leute und trank und scherzte mit jenen, die pausierten. Die nordische Sprache klang fremd in Rouwens Ohren, aber wenn man länger hinhörte, konnte man einiges verstehen. Alle gaben sich Mühe, ihn keines Blickes zu würdigen. Trotzdem schaute immer wieder jemand her, und manchmal, wenn einer dieser Kerle vorbeiging, musste Rouwen einen unerwarteten Schlag oder Tritt einstecken.
    Die Nacht kroch heran, der Wind nahm zu. Der Regen wurde ebenfalls stärker und biss Rouwen ins Gesicht. Die Seile, mit denen seine Handgelenke im Rücken gefesselt waren, bissen ebenso in seine Haut. Ihn plagte Durst. Niemand kam, um ihm etwas zu geben. Und da ihm eine Bitte niemals über die Lippen käme, mussten ihm die Regentropfen genügen, die ihm in den Mund rannen.
    Das Auf und Ab des Schiffes ließ seine Gedanken treiben. Wohin ging die Reise? Würde er seine Mutter in Durham je wiedersehen? Würde er Elrics Eltern je vom Schicksal ihres Sohnes berichten können? Er dachte an Oswald, den greisen Herrn der Komturei Durham, der seine Stirn geküsst und ihn gesegnet hatte, bevor er mit drei anderen Brüdern und ihren Knappen ins Heilige Land aufgebrochen war. Zweiundzwanzig Jahre war er alt gewesen – jetzt, vier Jahre später, fühlte er sich um zehn gealtert. Er
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