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Wikingerfeuer

Wikingerfeuer

Titel: Wikingerfeuer
Autoren: Shirley Waters
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mildem Seegang Wasser, und auch durch die Beplankung sickerte es ständig durch.
    Aus den Augenwinkeln betrachtete sie den Fremden. Die Nacht musste schlimm für ihn gewesen sein. Sie hatten sie an einem verlassenen Gestade an Schottlands Küste verbracht. Einige Yoturer hatten auf dem felsigen Ufer geschlafen, die anderen in Decken gehüllt zwischen den Ruderbänken.
    Der Engländer hockte nach wie vor gefesselt am Mast.
    Unter der ungewöhnlichen Sonnenbräune war er blass vor Kälte geworden. Die Knie hatte er angezogen, um sich ein wenig Wärme zu verschaffen. Zwei Männer näherten sich ihm und banden ihn dann los, doch nur, um seine Hände vorne am Leib zu fesseln. Bei dieser Gelegenheit entrissen sie ihm noch das silberne Kreuz, das er an einer Lederschnur am Hals trug. Kampfäxte warnend erhoben, bedeuteten sie ihm, aufzustehen. Langsam erhob er sich und streckte sich vorsichtig, um die Steifheit aus seinen Gliedern zu vertreiben. Rúna sah zu, wie man ihm erlaubte, ein paar Schlucke aus einem Lederbeutel zu trinken. Er tat all das würdevoll; nicht wie ein halbnackter Gefangener, der vermutlich erbärmlich fror und um sein Leben bangen musste. Anschließend durfte er an die Bordwand treten, um einem drängenden Bedürfnis abzuhelfen. Als er sich die Hose aufzuschnüren begann, wandte sie sich ab.
    »Rúna, komm her!«
    Sie gehorchte dem Ruf ihres Vaters und eilte zu ihm auf die Heckplattform, wo er mit kräftiger Hand die Ruderpinne hielt.
    Wie immer leuchteten seine Augen auf, als er sie erblickte. »Mein Wirbelstürmchen. Ich habe dir etwas zu sagen.«
    »Ja, Vater?«
    »Wir kehren um.« Seine Stirn krauste sich, als er in den Himmel blickte. »Der Sturm war eine Warnung Njördrs – der Winter ist noch nicht ganz vorbei, fürchte ich. Und wir haben ja mit dieser Truhe des Engländers schöne Beute gemacht.«
    »Aber …« Rúna wollte protestieren. Es war doch ihre Wikingfahrt!
    »Kein Aber«, unterbrach Baldvin sie. »Der Engländer beansprucht unsere ganze Aufmerksamkeit. Es wäre töricht, jetzt noch irgendwo anzulanden, um ein Dorf oder ein Kloster zu überfallen. Er ist zwar gefesselt, trotzdem … Sieh dir seine Augen an. Das ist, als geifere eine wilde Bestie in deinem Rücken, während du zum Kampf ausziehst.«
    Unwillkürlich sah sie zu dem Gefangenen, der seinerseits – inzwischen wieder an den Mast gefesselt – über die niedrige Bordwand aufs Meer hinausstarrte. Seine Haare waren immer noch – oder wieder – nass von der Gischt. Die Augen hatte er zusammengekniffen, da sich die helle Morgensonne auf dem Wasser spiegelte. Im Moment sah er nicht gefährlich aus, doch sie wusste, dass ihr Vater recht hatte.
    »Vater, du hast versprochen, mir die schottische Küste zu zeigen«, murrte sie trotzdem. Sie hatte ja noch kaum etwas gesehen, nur die Küste aus der Ferne und das einsame Gestade, wo sie über Nacht angelandet waren.
    »Die steht auch in ein paar Monaten noch, sofern Odin nicht das Weltenende einzuläuten gedenkt.«
    Sie hegte den Verdacht, dass es ihm zupass kam, seine väterlichen Sorgen um sie noch eine Weile aufschieben zu können. Mit achtzehn Jahren hatten die jungen Männer, die sich zum Dasein eines Kriegers berufen fühlten, längst drei, vier Fahrten hinter sich. Verdrossen verschränkte Rúna die Arme, wie um ihre Brüste zu verbergen. Eine Frau zu sein und zugleich im Herzen ein Krieger, war nicht leicht. Und jetzt hatte ihr dieses Schiffswrack, nur weil sich eine kostbare Truhe und ein Christenkrieger darauf befunden hatten, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Bei Odin, das konnte doch nicht wahr sein! Wütend sah sie zu Rouwen hinüber.
    Rouwen hatte gehofft, dass man auf dem Weg nach Norden die Orkneys anlanden würde. Vielleicht hätte sich Hilfe gefunden, schließlich lebten dort Schotten. Aber die Wikinger ließen die Inseln links liegen. Als Nächstes würden sie die Shetlands erreichen. Rouwen überlegte, wem sie zurzeit gehörten. Den Norwegern, wenn er sich nicht täuschte. Aber um den norwegischen Thron gab es seit jeher blutige Kämpfe und finstere Intrigen. Diese Leute waren seit zweihundert Jahren Christen, aber sie verhielten sich immer noch wie die barbarischen Helden in ihren Sagas. Wahrscheinlich scherten sich die Norweger nicht im Geringsten darum, ob es auf den entlegenen Shetlands noch Leute gab, die offen ihre alten Götter verehrten und sogar auf Raubzug gingen.
    Der Wind wehte günstig, und so tauchten anderntags die Shetlands auf. Hjaltland,
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