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Wikingerfeuer

Wikingerfeuer

Titel: Wikingerfeuer
Autoren: Shirley Waters
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dachte an die Dummheit des Königs von Jerusalem, der seinen Ritter Renaud, den Herrn der östlichen Jordansgebiete, der muslimische Karawanen überfallen hatte, nicht an Saladin hatte ausliefern lassen. Er dachte zurück an Saladins Rache, die schreckliche Schlacht bei den Hörnern von Hattin, welche das Ende dieser unseligen Auseinandersetzung markierte. Welche der anderen Ordensbrüder mochten das Massaker überlebt haben? Schreckliche Gerüchte hatten die Runde gemacht, von Folterungen durch die Krieger Saladins, von unzähligen Köpfen, die gerollt waren, von der Gefangennahme des Großmeisters der Templer …
    Er selbst hatte es mit Elric in die Templerburg Tortosa geschafft – mehr noch, er hatte eine Kiste voller Wertsachen retten können, die er in den Jahren in Outremer zusammengetragen hatte. Vor den Heiden dort habe ich meine Mitbringsel retten können , dachte er bitter, nur damit sie anderen Heiden in die Hände fallen …
    Eine kleine, schlaksige Gestalt schlich auf ihn zu. Er sah hellblonde Haare, die in der Brise tanzten. Es war ein Junge, der auf ihn zukam, die Arme um den Leib geschlungen, da es kalt war. Zwei Schritte vor Rouwen blieb er stehen und musterte ihn.
    »Was willst du?«, fragte Rouwen schroff.
    »Euch bloß ansehen. Ich hab noch nie einen gesehen wie Euch. Woher kommt Ihr? Was bedeutet das Kreuz auf Eurem Arm?«
    »Dass ich … ein Christ bin?«, fragte Rouwen lauernd.
    »Nein«, entschieden schüttelte der Junge den hell glänzenden Haarschopf. »Die Kreuze in den Klosterkirchen, die mein Vater bisher überfallen hat, sehen anders aus. Sie haben nicht diese gespaltenen Enden, und der senkrechte Balken ist länger.«
    Rouwen lehnte den Hinterkopf an den Mast und schloss seufzend die Augen. Ein neugieriger Bengel, das fehlte ihm noch … »Frag mich ein andermal, ja?«
    »Wenn ich jetzt nicht frage, erfahre ich es nie. Mein Vater wird Euch irgendwo anketten, und später werdet Ihr gegen das Lösegeld ausgetauscht oder umgebracht.«
    »Ich danke dir für die Aufmunterung«, brummte Rouwen. »Beherrscht ihr alle Englisch?«
    »Die meisten. Wir haben englische Sklaven, die es uns beibringen, und mein Vater sagt, dass es wichtig ist, wenn man sich auf Reisen verständigen kann. Ist Euch kalt?«
    Rouwen nickte.
    »Ihr als Engländer müsstet doch wie wir den Regen gewohnt sein.«
    Er hätte darauf geschworen, dass der Junge selbst Mühe hatte, ein Zähneklappern zu verbergen. Allerdings schienen sich die Männer nicht an dem harten Wetter zu stören. Einige hatten sogar die Oberkörper entblößt.
    »Warum ist Eure Haut so gebräunt? Fast so wie bei den Leuten im Süden. Also ganz weit weg im Süden.«
    Er wartete, dass jemand dem Jungen verbat, mit ihm zu reden. Da das nicht geschah, nahm er an, dass der Bengel von hoher Herkunft war – vielleicht der Sohn des Zwergs mit dem bärtigen Zopf. Trotz des Altersunterschieds war eine gewisse Ähnlichkeit nicht zu leugnen. Außerdem war seine Kleidung zwar schlicht, doch mit aufwendigen Stickereien verziert.
    »Seid ihr wirklich …«, Rouwen zögerte, diese Ungeheuerlichkeit auszusprechen, »Wikinger?«
    »Natürlich.«
    »Aber das ist eigentlich unmöglich.«
    Der Junge winkte mit einer altklugen Geste ab. »Ich weiß. Die Zeit der heldenhaften Seekrieger ist schon längst vorbei. Überall in den nordischen Landen sind sie sesshaft und christlich geworden. Sie haben jetzt Könige, wie im Frankenreich, die über alle Sippen herrschen. Aber den alten Glauben und die alten Bräuche gibt es trotzdem noch, sagt mein Vater. Man zeigt es nur nicht so. Wir dagegen …« Er unterbrach sich, weil er husten musste. Mit einer kleinen Faust schlug er sich gegen den ebenso schmächtigen Brustkorb.
    Er mochte so alt wie Elric sein, als sie damals ins Heilige Land aufgebrochen waren. Rouwen schnitt die Erinnerung an seinen Knappen ins Herz; er musste die Augen schließen. Er lauschte dem Prasseln des Regens, dem Knarren des Tauwerks und den leisen Unterhaltungen der Männer, um das Bild von Elrics angsterfülltem Gesicht zurück in die Tiefen seines Innern zu verbannen. Erst als er die Stimme der jungen Frau hörte, gelang es ihm.
    »Arien, was machst du da?«
    Rouwen hob die Lider. Sie war tatsächlich da. In einen dicht gewebten Umhang gehüllt, kam sie über das Deck gelaufen. Die Männer nickten ihr ehrerbietig zu, doch sie beachtete sie kaum.
    »Ich unterhalte mich mit ihm«, erwiderte der Junge.
    »Komm da weg!« Sie beugte sich vor und zog ihn an der
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