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Wikingerfeuer

Wikingerfeuer

Titel: Wikingerfeuer
Autoren: Shirley Waters
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»Kommt es her? Sieht es uns?«
    Rouwen sah noch einmal angestrengt hin. Tatsächlich, er hatte sich nicht getäuscht.
    »Herr Rouwen, sagt schon!«
    »Es sieht aus wie ein Drachenschiff.«
    »Ein Drache?« Gerard bekreuzigte sich. »Ich wusste, dass es im Nordmeer Ungeheuer gibt, ich wusste es immer!«
    »Kein Seeungeheuer. Ein Schiff mit einem geschnitzten Drachenkopf auf dem Vordersteven. Wenn ich nicht ganz genau wüsste, dass es nicht sein kann, so würde ich sagen, das ist ein Wikingerschiff.«
    »Wikinger? Redet Ihr etwa von diesen Heiden, die früher die Küsten sämtlicher christlicher Länder überfallen haben? Das ist wie viele Generationen her? Sechs, sieben? Heutzutage muss man Sarazenen und Mamelucken fürchten, aber doch nicht diese Barbarenhorden aus alten Geschichten.«
    Gewiss nicht. Die Wikinger aus alter Zeit waren sesshaft, friedlich und christlich geworden. Irgendeine Erklärung würde es schon dafür geben, dass dieses Schiff mit seinem Drachenkopf, dem rotweiß gestreiften Rahsegel und den an der Bordwand aufgestellten bunt bemalten Rundschilden existierte. Es glich aufs Genauste den Abbildungen, die Rouwen auf Wandteppichen und in der Angelsächsischen Chronik in der Bibliothek von Durham Castle bewundert hatte.
    Zunächst zählte nur, dieses Schiff auf sich aufmerksam zu machen. Er zog eines seiner Messer und schnitt das teure Tuch wieder los. Dann stieg er auf die Reling, spreizte die Beine, um Halt zu finden, und reckte die Arme. Das Tuch flatterte in der sanft gewordenen Brise.
    »Sie kommen«, hörte er einen der Männer hinter sich erregt raunen.
    Sie kamen tatsächlich. Und sie kamen schnell. Etwa zwanzig Männer saßen an den Riemen, und weitere zehn oder zwölf liefen auf dem Deck auf und ab. Die Sonne blitzte auf Helmen und Speerspitzen, und Rouwen meinte schon ihre Stimmen zu hören. Er sah, wie sie ihre Waffen zum Himmel erhoben … Ihm stockte der Atem. Er erkannte, wann Männer kämpfen und nicht etwa helfen wollten, selbst auf diese Entfernung hin. Er wusste es viel zu gut … Verdammt , dachte er.
    »Betet, Herr Gerard«, sagte er ruhig, obwohl sein Inneres toste wie noch vor Kurzem der Sturm. Was durch seine Adern zu strömen begann, war eine Erregung, von der er nie wusste, ob es die Gier nach dem Kampf oder in Wahrheit doch nur Furcht war. »Und ihr anderen – macht euch bereit, euer Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Diese Männer werden uns nicht retten. Sie werden uns zu töten versuchen.«
    Gerard quiekte vor Entsetzen, und Rouwen hätte keinen Shilling auf eine trockene Bruche unter dem Kittel des Händlers gewettet. Caedmon fluchte und fischte von irgendwoher eine Zimmermannsaxt hervor. Sein Jagdmesser warf Rouwen jenem Söldner zu, der einen wehrhafteren Eindruck als die beiden Seeleute machte. Er selbst ließ das Tuch fahren und zog das lange Kampfmesser aus der Scheide.
    Einen guten Stand hatte er hier oben nicht. Auf dem Felsen jedoch auch nicht, also blieb er breitbeinig stehen. Er wünschte sich, über der zerschlissenen Tunika seinen Mantel zu tragen, den weißen Mantel mit dem roten Tatzenkreuz, das edelste Kleidungsstück eines Ordensritters der Templer. Dazu seinen Anderthalbhänder mit der teuren, im Frankenland geschmiedeten Klinge. Wenigstens hatte ihm der Sturm nicht das silberne Kreuz entrissen, das er an einer Lederschnur um den Hals trug. Er hob es an die Lippen und küsste es.
    Das seltsame Drachenschiff war nun so nah, dass er hören konnte, wie die Männer brüllten, und sah, wie ihre Augen gierig blitzten. Unter ihren Helmen quollen hellblonde Zöpfe und Bärte hervor. Die ersten schnappten sich ihre Schilde von der Bordwand, rissen ihre Schwerter hoch und schlugen sie gegen die eisenbewehrten Ränder – somit verflog der letzte Zweifel, sie könnten friedliche Absichten hegen. Ihr Geschrei war inzwischen so laut, dass es sogar Gerards Schluchzen übertönte.
    Rouwen dachte an seine Truhe. Es musste doch Gottes und des Heiligen Cuthbert Wille sein, dass sie an ihren Bestimmungsort gelangte. Aber er dachte auch, dass die Wege des Herrn unergründlich waren und der seine vielleicht tatsächlich in die Tiefe des Meeres führte, dem armen Elric hinterher. Er dachte, dass dieses Wikingerschiff eigentlich nicht existieren durfte und er das Rätsel, weshalb es dennoch drohend vor dem Felsen aufragte, gerne noch gelöst hätte. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf.
    Im nächsten Augenblick wurden sie alle vom Anblick einer Frau
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