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Wikingerfeuer

Wikingerfeuer

Titel: Wikingerfeuer
Autoren: Shirley Waters
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vertrieben.
    Er blinzelte. Stand dort auf dem Deck wirklich eine hochgewachsene, schlanke Frau, mit goldenem Haar, das ihr bis zu den Ellbogen reichte, in einem Kettenhemd, das sich über zwei Brüste schmiegte, so vollkommen, wie die Bibel sie in Salomons Hohelied beschrieb? Doch als er wieder hinsah, war die Frau fort. Weshalb auch sollte unter dieser Horde wilder Krieger ein weibliches Wesen sein? Seine angespannten Sinne hatten ihn genarrt.
    Als der erste Speer neben dem kreischenden Gerard aufschlug und Rouwen einen Satz auf den Felsen machte und danach griff, bevor die Waffe ins Meer polterte, hatte er die Frau vergessen.
    Rúna rannte zum Heck, um ihren Bogen und Pfeile zu holen. Sie wusste, dass Yngvarr, der erste Krieger der Yoturer, einen Langbogen für die Waffe fränkischer und englischer Feiglinge hielt. Geringschätzig hatte er das Gesicht verzogen, als sie zu ihrem achtzehnten Geburtstag von ihrem Vater diesen Bogen bekommen hatte. Er selbst hatte ihr eine Kriegsaxt überreicht. Ihr Gewicht am Gürtel fühlte sich gut an. Gut und wichtig. Trotzdem wollte sie nicht auf ihren Bogen verzichten. Außer Yngvarr achteten sie die Schwertmänner Yoturs ohnehin als schnelle und geschickte Kämpferin, egal mit welcher Waffe sie kämpfte. Und jetzt durfte sie sich endlich auf einer Wikingfahrt beweisen.
    Ein Schiff zu erobern, das bereits zerstört war und so tief krängte, dass nur noch dieser nackte Felsen es vorm Sinken bewahrte, war jedoch keine Tat, über die ein Skalde später Lieder dichten würde. Zumal nur eine Handvoll Männer überlebt hatte. Aber einer von ihnen machte einen äußerst wehrhaften Eindruck.
    Rúna schlüpfte unter die Ruderplattform, wo Proviant und Beute verstaut wurden und sie und ihr Bruder eine kleine Ecke für sich hatten, um des Nachts nicht wie die Männer an Deck schlafen zu müssen. Sie schnallte sich den Köcher um die Taille und zog einen Pfeil heraus, während sie mit der anderen Hand nach ihrem Bogen griff. Als sie wieder aus dem Hohlraum hervor kam, hatten die Ruderer die Windjägerin bereits dicht an den Felsen gebracht. Soeben sprang Rúnas Vater, Baldvin Baldvinsson, auf die Reling und hob sein Schwert.
    »Seid tapfer und kämpft!«, schrie er in der Sprache der Engländer. »Dann gewähren wir euch die Gnade, mit einer Waffe in der Faust zu sterben, damit ihr wie ehrenvolle Krieger in Walhall einziehen könnt!«
    Rúna sah, dass der hochgewachsene Fremde mit dem fetten Kerl, der auf dem Felsen hockte wie eine Glucke auf ihrem Ei, einen verständnislosen Blick wechselte. Natürlich, die beiden waren Christen. Die ganze Welt folgte diesem schwächlichen Gott, der sich an ein Kreuz hatte nageln lassen, statt um sein Leben und seine Ehre zu kämpfen. Wer wusste noch von Allvater Odin und den Asen, welche die gefallenen Krieger mit Met empfingen, um mit ihnen an den riesigen Tafeln Walhalls zu feiern, bis sie alle dereinst gemeinsam in den letzten Kampf gegen die Riesen ziehen würden?
    »Wir wollen nicht kämpfen«, rief der Mann, seinem Akzent nach tatsächlich ein Engländer.
    »Natürlich nicht, sind ja Christen«, brummte Yngvarr in seinen Bart. Er stand dicht neben Rúna, sodass nur sie ihn hörte.
    Was immer der Fremde noch sagen wollte, die dicke Glucke kam ihm zuvor. »Wir bezahlen euch, damit ihr uns an Land bringt!«, schrie der Mann mit sich überschlagender Stimme, während er sich aufrappelte. Sein Englisch war eigentümlich gefärbt. Er drohte auszurutschen, und nur dem beherzten Griff des Anderen verdankte er, dass er nicht geradewegs ins Wasser platschte.
    »Mund halten, Herr Gerard.«
    »Wieso? Was wollt Ihr denen stattdessen vorschlagen, Herr Rouwen? Ich glaube, wir haben nicht viele Möglichkeiten.«
    »Stimmt allerdings«, murmelte Yngvarr. Er grinste breit, und auch die anderen Krieger konnten sich das Lachen kaum verbeißen.
    Der Mann namens Rouwen schob die Glucke hinter sich und trat einen Schritt vor.
    »Du hast von Ehre gesprochen«, wandte er sich an Baldvin mit einer dunklen, kräftigen Stimme, die erahnen ließ, dass er sie ebenso wie seine muskulösen Arme in vielen Schlachten gestählt hatte. »Aber ist es ehrenhaft, Notleidende zu töten? Wir stehen auf einem Wrack, ohne Hilfe würden wir hier elendig sterben. Also appelliere ich an deine Ehre, uns zu helfen.«
    Das Lachen erstarb in ungläubigem Staunen.
    Baldvin strich sich durch den geflochtenen Bart. »Ihr habt nichts mehr von Wert an Bord?«, fragte er lauernd.
    Der Engländer öffnete
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