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Wieviele Farben hat die Sehnsucht

Wieviele Farben hat die Sehnsucht

Titel: Wieviele Farben hat die Sehnsucht
Autoren: Körner
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fremde Tier auf den Platz vor dem Kaffeehaus. Erschrocken wichen die Männer zurück. Sie sahen: Vier riesige, rauhe Säulen. Zwei glatte, polierte Säbel. Eine große Schlange mit einem Rasierpinsel am Ende. Zwei wehende Fächer wie aus Pergament. Und all die anderen Dinge, die sie beschrieben hatten.
    „Das ist ein Elefant“, sagte der blinde Alte in die betretene Stille, und vor lauter Lachen bekam er einen Schluckauf. „Nun, hat einer von euch gelogen? Aber wer von euch hat nun wirklich die Wahrheit gesagt? Wahrheit ist unteilbar - doch nur wahrhaftige Menschen werden sie in ihrer ganzen Größe erfahren.“
     

 

Manfred Eichhorn
    Die Legende vom ersten Schnee
    H och oben in den Bergen des Himalaja fällt in jedem Jahr der erste Schnee. Und die Sage erzählt, daß derjenige König im Lande wird, der die erste Schneeflocke eines Winters in seiner Hand zerschmelzen läßt.
    Vor langer Zeit lebte dort ein König, der sein Volk gut behandelte. Die Steuern waren erträglich, so daß niemand Hunger leiden mußte. Keiner hatte Angst vor Willkür und Strafe. So liebte ihn das Volk, wie es nie zuvor einen König geliebt hatte. Und an den Feuern des Abends erzählten sie von seiner Weisheit und Güte.
    Von frühester Jugend an hatte dieser König die Schriften der Weisen studiert, tagelang geschwiegen, gefastet und die Sprache der Stille gelernt. Er hatte die geheime Kraft des Atems erforscht und war doch immer ein Suchender geblieben, der ging und ging und nie ein Ende des Weges sah. Eins wollte er sein mit der Schöpfung - ein Teil davon und das Ganze, verbunden mit der Natur, mit allen Tieren und Pflanzen, mit dem Himmel, den Bergen und den Wolken.
    So lag ihm auch wenig an Staatsgeschäften, gab es doch so vieles, was er lernen und erfahren wollte. Er stellte Minister ein und überließ ihnen einen Großteil der lästigen Verpflichtungen.
    Feiner der Minister aber war ihm mißgünstig. Sein Name war Tapiro. Er war neidisch auf den König und nannte ihn insgeheim einen Dummkopf, da er seine Macht so wenig nutzte. Oft versuchte er, die anderen Minister aufzuhetzen und den König zu stürzen: Der König sei nicht fähig, ein Land zu regieren, sagte er, ein König müsse streng sein. Aber die anderen Minister liebten ihren König ebenso wie das Volk ihn liebte.
    So wuchsen Mißgunst und Haß im Herzen von Tapiro, und oft sagte er zu sich selbst: „Dann versuche ich es eben alleine. Ich werde ihn stürzen und selbst Herrscher im Lande sein.“
    Bald merkte der König von dieser Absicht, und er fragte Tapiro, was er denn anders machen würde, wenn er König wäre. „Andere Königreiche führen Kriege und gelangen so zu Ansehen und Reichtum“, antwortete dieser, „du aber lebst kaum anders als ein Bauer, weil unser Land karg ist und wenig Früchte trägt zur Erntezeit. Zieh über die Grenzen und du wirst Reichtum und Macht finden!“ Da erwiderte ihm der König: „Wenn du ein Volk findest, das zufriedener mit seinem König ist als dieses hier, dann sollst du an meiner Statt König sein.“
    Tapiro wußte, wie sehr das Volk seinen König liebte und daß er sich diesen Weg sparen konnte. Zornig sprach er: „Geliebt zu werden ist keine Kunst! Sich aber Respekt beim Volke zu verschaffen, damit es einem nicht auf der Nase herumtanzt — das zeichnet einen wahren König aus. Geliebt werden, das kann jeder Stallknecht, dazu bedarf es keines Königs!“ In seinen Augen funkelten Machthunger und Habgier, und der König spürte, daß Tapiro niemals aufgeben würde, bevor sich seine Augen nicht verändert haben -denn diese sind Spiegel des Herzens. Nicht um sich selbst fürchtete er, aber um Tapiro; denn es ist schwer zu leben ohne Zufriedenheit. Und er fürchtete, daß sein Volk eines Tages in Unterdrückung leben müsse.
    Also rief er seine Minister und bat diese um Rat.
    „Wir müssen ihn aus dem Land jagen“, sagten die einen. „Wir müssen ihn einsperren“, sagten die anderen. Der König aber winkte ab: „Keiner in diesem Lande lebt in Unfreiheit, und noch keinen haben wir von der Erde gewiesen, auf welche ihn die Schöpfung gestellt hat.“
    Die Minister verstanden und schämten sich ihrer Worte, waren sie auch nur zum Schutze ihres geliebten Königs ausgesprochen worden. Aber es wären doch die heiligsten Gesetze des Landes gebrochen: Irgendwann müßte man noch einen einsperren oder des Landes verweisen und dann noch einen... Es würden Gefängnisse entstehen, es würde Strafen geben, das Recht würde über der
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