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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen
Autoren: Iris Strohschein
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seiner Stimme brodeln. Lange durfte sich die Frau nicht spielen.
    »Das geht Sie überhaupt nichts an. Ich habe Ihnen eine Frage gestellt.«
    Stiegenhausdrachen waren nicht immer weiblichen Geschlechts, auch pensionierte Männer, die mit Ferngläsern die Parkplätze vor ihrer Wohnung, die zumeist in gesichtslosen Gemeindebauten lag, beobachteten, waren in Wien zahlreich vertreten. Der winzige Kosmos, in dem sie lebten, war einfach gestrickt; sie waren die selbst ernannten Herren des Hauses, alle anderen Menschen waren Trotteln oder Sautrotteln. Die Gespräche, die Stiegenhausdrachen vom Zaun brachen, hatten immer den gleichen Verlauf. Erstens: harsches Verlangen, sich persönlich vorzustellen und den Zweck des Aufenthalts bekannt zu geben. Kam man dieser Aufforderung nicht unverzüglich nach, folgte »zweitens«. Hier kam es auf den Bezirk an: In einer noblen Gegend wurde gedroht, die Polizei zu holen. Befand man sich in einer heruntergekommenen Nachbarschaft, konnte man sich darauf gefasst machen, mit den unglaublichsten Beschimpfungen im besten oder mit ein paar Watschen im schlechteren Falle bedacht zu werden. Danach erfolgte auch hier die unumgängliche Drohung, die Polizei zu rufen.
    »Wenn Sie nicht antworten, hole ich die Polizei«, keifte der Stiegenhausdrachen.
    Rosa nickte und zählte im Geiste. Drittens: nochmaliges Auffordern, den Grund der Anwesenheit zu erklären.
    »Was wollen Sie also hier? Dauernd gehn irgendwelche Menschen da ein und aus; seit der Spinner gfunden worden is, is keine Ruh mehr …«
    Liebhart schob Rosa und Schurrauer in die Wohnung, ohne die Frau noch weiter zu beachten. Der Stiegenhausdrachen stürmte über den Gang und stieß mit der Nase auf die Polizeimarke Liebharts, die er unvermittelt aus seiner Tasche gezogen hatte.
    Was er zu ihr sagte, konnte Rosa nicht mehr zur Gänze hören. »Jetzt hurchn S’ amal zua …« war das Einzige, was sie vernahm.
    Wie fast jeder Einwohner rutschte Liebhart ins beinharte Wienerische, um einer Person die Meinung zu sagen. Der tiefe Dialekt der Bundeshauptstadt, das Dehnen der Vokale und Verschlucken der Konsonanten, wirkte schon allein durch den Klang wie ein paar deftige Watschen.
    Die Wohnung von Friedrich Kobald bot einen so beeindruckenden Anblick, dass Rosa der Atem stockte. Vom Vorzimmer aus öffnete sich durch eine hohe Flügeltür der Blick zu drei weiteren Räumen, deren Türen ebenfalls offen standen. Auf glänzendem Sternparkett standen zahlreiche Skulpturen aus Stein, Metall oder Holz, als wäre eine bunte Abendgesellschaft plötzlich erstarrt. Das Team der Spurensicherung bewegte sich vorsichtig zwischen den Exponaten. Schurrauer streifte sich ein paar Einweghandschuhe über und verschwand in den rückwärtigen Bereich der Wohnung. Die Tatortermittlung war seine Stärke.
    Rosa erkannte an der Stirnwand im letzten Raum eine Pietà von Andres Serrano aus dem Jahre 1985, auf der die Muttergottes mit einem Karpfen in ihren Armen dargestellt war. Friedrich Kobald sammelte also nicht nur alte Meister, sondern war auch an zeitgenössischen Werken interessiert.
    Im ersten Raum befanden sich Bücherkästen, die bis zur Decke reichten, sogar oberhalb der Tür, die ins nächste Zimmer führte, glänzten in zwei Regalreihen antiquarische Bücher mit goldgeprägten Rücken. Eine fast lebensgroße Statue des heiligen Sebastian stand nahe dem Mittelerker mit den hohen Fenstern. Rosa bewunderte die Muskeln und Sehnen des von Pfeilen Durchbohrten, die der Künstler präzise dargestellt hatte. Die Seile, mit denen er an den Baum gefesselt worden war, schnitten ihm tief ins Fleisch, sein Gesicht war schmerzverzerrt. Der Lendenschurz war mit Blattgold überzogen worden, die Statue schien vor Kurzem renoviert worden zu sein.
    Beamte der Spurensicherung staubten noch immer auf der Suche nach Fingerabdrücken Möbel, Bücher und Kunstgegenstände mit Puder ein. Es war unerträglich heiß, doch Rosa lief ein kalter Schauer über den Rücken, als sie inmitten des zweiten Raums eine gotische Pietà stehen sah. Sie trat näher und beugte sich über das alte Lindenholz, auf dessen Oberfläche man noch Reste der ursprünglichen Farbe erkennen konnte. Die Muttergottes hielt in stillem Schmerz ihren Sohn auf dem Schoß, der in friedlicher Haltung zu schlafen schien. Gerade die Einfachheit, mit der die Skulptur geschaffen worden war, verlieh der Pietà eine strahlende Ruhe.
    In einem Regal, das fast die gesamte Wand einnahm, waren in der obersten Reihe
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