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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen
Autoren: Iris Strohschein
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Bemalung vorbereiteten.
    Radoslav Beljajew kam auf Rosa zu und gab ihr die Hand; er trug ein schwarzes Sticharion, einen Talar mit weiten Ärmeln, und ein schlichtes Brustkreuz.
    »Das ist ja wunderschön«, meinte Rosa und deutete zur Decke.
    Der Priester folgte ihrem Blick und meinte stolz: »Wir sind froh, dass wir Zenon für die Arbeiten gewinnen konnten. Er gilt als einer der besten Ikonenmaler der russischen Orthodoxie.«
    »Ich muss gestehen, dass ich orthodoxe Kirchen besonders dunkel und überladen in Erinnerung hatte.« Rosa konnte ihren Blick nicht von der Kuppel wenden, durch deren Fenster das Sonnenlicht fiel.
    »Es gibt viele Vorurteile gegenüber der orthodoxen Kirche, die sich leider nicht nur auf die Ausstattung beziehen. Ich führe Sie gern herum, wenn die Arbeiten abgeschlossen sind, aber ich denke, deswegen sind Sie nicht hier.«
    Rosa riss ihren Blick von den Fresken los. »Nein, das bin ich nicht.« Sie kramte in ihrer Tasche und hielt ihm die Abbildung der Ikone von Andrzej Zieliński hin.
    »Hm, eine Marienikone.« Radoslav Beljajew strich sich durch den Bart. »Man kann auf dem Foto nicht sehr viel sehen, können Sie mir ein wenig mehr über die Ikone sagen? Wo hängt sie? Wem gehört sie? Wer hat sie geschrieben?«
    »Geschrieben?«
    »Ja, im Russischen heißt es wörtlich ›Ikonen schreiben‹ und nicht ›malen‹.« Er sah sie aufmunternd an.
    Rosa schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich darf Ihnen leider nicht mehr sagen, da ich zurzeit mit dem Bundeskriminalamt in Wien zusammenarbeite. Vielleicht können Sie mir aber trotzdem weiterhelfen, ich muss mehr über die spirituelle Seite der Ikonenverehrung wissen.«
    Radoslav Beljajew nickte und ging ein Stück Richtung Westflügel. Rosa folgte ihm.
    »Ich gehe davon aus, dass Sie als Kunstwissenschaftlerin einiges über den formalen Aufbau einer Ikone wissen«, sagte er. »Nach westlichem Verständnis sind Ikonen umso wertvoller, je älter sie sind. Für Gläubige ist das Alter jedoch nicht von großer Bedeutung. Für diese Menschen richtet sich die Kostbarkeit eines Heiligenbildes nach dem Ort, an dem es sich befindet. So können Ikonen, die in Kirchen oder in Wohnungen orthodoxer Familien verehrt werden, als wertvoll gelten. Durch die Anbringung in einem Geschäft oder in einem Museum wird eine Ikone profan und muss erst wieder geweiht werden, um ihren Wert zurückzuerhalten.«
    »Also ist jede Ikone, die nach dem orthodoxen Verständnis verehrt wird, echt«, resümierte Rosa.
    Der Priester wich einem Kübel mit Dispersionsfarbe aus und nickte. »Die Verehrung beginnt damit, dass das Tafelbild vierzig Tage in einer Kirche aufgestellt wird. In dieser Zeit verliert die Ikone den ihr anhaftenden Geruch von Farbe und Firnis. Die Olifa – das ist, wie Sie sicher wissen, die Firnisschutzschicht – nimmt den Duft des Weihrauchs und somit den spezifischen Kirchengeruch an. Nun vollzieht der Priester die Weihe, das Tafelbild ist zur Ikone geworden und somit echt.«
    Sie steuerten zurück zum Hauptschiff. »Die Verehrung einer Ikone geht so weit, dass sich Gläubige von einigen Bildern erzählen, dass sie ›nicht von Menschenhand gemacht wurden‹, sondern einfach vom Himmel gefallen sind. Deswegen sind die meisten Ikonen auch nicht signiert, da nicht der Mensch selbst, sondern der Geist Gottes sie mit Hilfe des menschlichen Mediums gemalt hat. Man nennt diese Ikonen ›Acheiropoieta‹.«
    Die Sonne erwärmte die Luft in der Kirche und ließ den Geruch von Farbe noch intensiver werden. Ein Arbeiter trat an Radoslav Beljajew heran, der Priester entschuldigte sich, wechselte ein paar Worte mit dem Mann und wandte sich dann wieder Rosa zu. »Es tut mir leid, aber ich muss mich jetzt um die Renovierungsarbeiten kümmern.«
    Rosa sah ihn enttäuscht an.
    Er gab ihr die Kopie des Fotos zurück und meinte entschuldigend: »Sie können mich jederzeit anrufen, falls Sie weitere Fragen haben.«
    Als Rosa zu ihren Auto ging, nahm sie sich vor, zur Weihe der Kirche im Dezember zu kommen. Bevor sie sich mit Liebhart und Schurrauer in der Wohnung von Friedrich Kobald treffen sollte, wollte sie die Gelegenheit nützen und im botanischen Garten des Belvederes, der sich gleich bei der Wohnung des Sammlers befand, ein wenig spazieren gehen. Sie war schon seit Jahren nicht mehr dort gewesen und kam auch nie in diese Gegend von Wien.
    Der Verkehr auf dem Rennweg hatte weiter zugenommen; genervte Autofahrer ließen ihre verschwitzten Arme aus den weit
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