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Wiedersehen in Stormy Meadows

Wiedersehen in Stormy Meadows

Titel: Wiedersehen in Stormy Meadows
Autoren: Sarah Harvey
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einer Matroschka, mit rabenschwarzen Locken, blasser Haut und rosa Wangen. Klein und rundlich, frisch und hübsch. Sie duftet immer gut, genehmigt sich nur selten etwas anderes als Rohkost und hat die samtig schimmernde Haut einer Frau, die eine Zweiliterflasche Wasser neben sich auf dem Tisch stehen hat und diese auch wirklich Tag für Tag austrinkt. Wenn man Doras Willenskraft bewundert, lacht sie nur und erklärt, man brauche nun wirklich keine Willenskraft, um sich nicht zu verhalten wie ein Mülleimer.
    Ich wünschte, ich könnte mir in Bezug auf das Essen ihre Philosophie zu eigen machen. Das, was sie als Müll bezeichnet, ist nämlich meine Seelennahrung. Wenn ich ausnahmsweise mal daran denke, überhaupt etwas zu mir zu nehmen, sind das immer ungesunde Nahrungsmittel. In meiner oberen linken Schreibtischschublade bewahre ich derzeit zwei Marmeladen-Donuts und einen Beutel mit Mars-Riegeln auf. Umso erstaunlicher ist es, dass ich trotzdem mehr als sechs Kilo abgenommen habe. Ich greife nach einem Donut und beiße einen großen Happen ab.
    »Telefon für dich, Nattie.«
    »Wer ist denn dran?«, forme ich lautlos mit den Lippen und lecke mir Marmelade vom Kinn.
    »Tut mir leid, sie hat ihren Namen zwar gesagt, aber ich habe ihn nicht richtig verstanden. Sie möchte mit Mrs. Forester sprechen.«
    »Aha?« Mein Herz schlägt ein wenig schneller.
    »Ja.« Dora nickt. »Ich glaube, deshalb habe ich auch ihren Namen nicht mitgekriegt, ich war so verdutzt, dass sie dich Mrs. Forester genannt hat.«
    Als ich Rob heiratete, wollte ich unbedingt meinen Nachnamen behalten. Warum sollte ich meinen Namen aufgeben? Ich war ihm doch nicht plötzlich untergeordnet, bloß weil wir beide eine Heiratsurkunde unterzeichnet hatten. Rob und ich waren ein Team. Wir sprachen zwar auch über einen Doppelnamen, aber nur kurz, denn wir waren uns schnell einig, dass wir weder Dunne-Forester noch Forester-Dunne heißen wollten.
    Also entschieden wir, dass keiner von uns seinen Namen ändern würde. Rob würde Robert Alexander Forester bleiben und ich Natalie Dunne.
    Jetzt wünschte ich, ich wäre nicht so emanzipiert gewesen.
    Dora stellt den Anruf zu mir durch.
    »Mrs. Forester?« Die Stimme ist mir unbekannt.
    »Am Apparat.«
    »Hier ist Eleanor Brice von Cheal.«
    Ich brauche einen Moment, um die Anruferin einzuordnen, dann fällt der Groschen. Eleanor Brice ist die Schulleiterin von Cassies Internat. Ich habe sie nie persönlich kennengelernt, aber ihr Name ist häufig gefallen, erst in Unterhaltungen mit Rob, dann in Gesprächen mit den Anwälten. Ein Name, der in kultivierter Handschrift unter Briefen und Schulzeugnissen steht. Ihre Stimme ist leise, fast monoton, doch ich höre eine besondere Kraft heraus. Nach allem, was ich über sie weiß, muss die Frau ein wahres Energiebündel sein.
    »Es tut mir leid, dass ich Sie bei der Arbeit stören muss, aber leider hat es hier einen recht unglücklichen Zwischenfall gegeben.«
    »Ist Cassie etwas passiert?«, unterbreche ich rasch, und mir stockt der Atem.
    »Ich kann Ihnen versichern, dass Cassandra körperlich bei bester Gesundheit ist«, antwortet Mrs. Brice langsam nach einer kurzen Pause. »Aber leider bereitet ihr Verhalten uns Probleme.«
    »Ja?«
    »Schwerwiegende Probleme sogar.«
    Nicht nur Ihnen, seufze ich lautlos und voller Mitgefühl. Nein, nicht nur Ihnen.
    Am nächsten Tag fahre ich nach Cheal. Mein Termin mit Eleanor Brice ist um elf. Am Telefon war sie ausgesprochen einsilbig und meinte nur, sie würde mir die Einzelheiten zu »Cassandras Fehlverhalten« lieber in einem persönlichen Gespräch erläutern.
    Ich frage mich, was sie wohl ausgefressen hat. Ich habe Cassie seit dem Sommer nicht gesehen. In den Sommerferien hatte sie es fertiggebracht, fast eine ganze Woche bei mir in Hampstead zu verbringen. Das ist ein Rekord.
    Seit Robs Tod haben sich ihre schulischen Leistungen stetig verschlechtert. Ich habe dies bisher mit einer Mischung aus Frustration, Angst und Schuldgefühlen beobachtet, wohl wissend, dass ich eigentlich etwas dagegen unternehmen müsste, doch ich habe nicht die leiseste Ahnung, was das sein könnte. Aus der Ferne schaue ich zu, wie sie immer mehr in Bedrängnis gerät.
    Überrascht bin ich nicht, dass ich heute in die Schule zitiert wurde, bloß enttäuscht – enttäuscht von mir selbst, denn meine Angst, dass Cassie mich noch mehr hassen könnte, wenn ich etwas falsch mache, hat mich davon abgehalten, überhaupt etwas für sie zu tun.
    Im
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