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Wiedersehen in Stormy Meadows

Wiedersehen in Stormy Meadows

Titel: Wiedersehen in Stormy Meadows
Autoren: Sarah Harvey
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nicht.
    »Und dieses Jahr? Was ist mit Cassie? Sie hat doch bald Geburtstag, oder?«
    »Ja, aber letztes Jahr habe ich sie zu ihrem Geburtstag auch nicht gesehen. Sie wollte lieber mit ihren Freundinnen feiern.«
    »Kommt sie über Weihnachten nach Hause?«
    »Das bezweifle ich. Sie ist ja kaum noch hier gewesen, seit …« Mit einem Seufzer streiche ich mir das Haar aus dem Gesicht. »Ich glaube, sie betrachtet dieses Haus nicht mehr als ihr Zuhause. Wahrscheinlich besucht sie eine Freundin, das war jedenfalls bisher ihr Plan. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Weihnachten plötzlich mit mir verbringen will – du etwa? Letztes Jahr war sie doch bloß beim Skifahren, damit sie nicht herkommen musste.«
    Petras Schweigen ist Antwort genug. Wir wissen beide, das Cas ihr Möglichstes tut, um mir aus dem Weg zu gehen. Dabei bin ich ihr Vormund.
    Ich habe mich so bemüht, diese Rolle positiv zu sehen und für Cassie da zu sein, wenn sie mich braucht, aber sie lehnt mich ab. Schon als Rob noch lebte, hatte ich als ihre Stiefmutter einen schweren Stand. Wenn sie zu Hause war, hatte ich das Gefühl, ich wäre mit dem ganzen Packen an Problemen konfrontiert, den das Muttersein mit sich bringt, ohne aber die üblichen Belohnungen für diese Plackerei zu bekommen: die Zuneigung, die Umarmungen und die Küsse, den Stolz und das Gefühl, zu einer Familie zu gehören.
    Cas tat alles, um mir klarzumachen, dass ich nicht dazugehörte. Sie verstand es meisterhaft, eine Wand um sich und ihren Vater herum zu errichten, eine undurchdringliche Mauer. Sie schlug Unternehmungen vor, die mich ausschlossen – mit Vorliebe Ausflüge zur Kirmes oder in Vergnügungsparks, wo man bei den Fahrten zu zweit nebeneinandersaß, sodass ich allein danebenstand und wartete, bis sie und ihr Vater lachend und Hand in Hand wieder auf dem Erdboden landeten.
    Ich habe mich immer bemüht, diese Kränkungen nicht persönlich zu nehmen und daran zu denken, dass Cassie früh ihre Mutter verloren hatte und daher zwangsläufig jeden Menschen ablehnen musste, der die Zuneigung ihres Vaters fand. Mein Mantra war: Sie ist noch ein Kind . Mit der Zeit würde sie sich an mich gewöhnen, so hoffte ich. Ich erwartete ja nicht, dass sie mich als Ersatz für ihre Mutter akzeptierte, aber ich hoffte, dass wir eines Tages Freundinnen sein könnten. Inzwischen ist sie fast sechzehn und noch so distanziert wie eh und je.
    Cassies Hass ist beinahe greifbar. Während ich mich an die Arbeit klammere, um weiterleben zu können, nährt Cassie sich von ihrem Hass auf mich. Sie sucht einen Sündenbock, und aus irgendeinem Grund macht sie mich verantwortlich für ihren Verlust, nicht den betrunkenen Autofahrer, der Rob auf der falschen Straßenseite entgegenkam und ihn zu diesem plötzlichen Ausweichmanöver zwang, und auch nicht das Glatteis, das Robs Wagen ins Schleudern brachte.
    Die Schuld liegt bei mir.
    Einzig und allein bei mir.
    In den zwanzig Monaten seit Robs Tod haben wir uns genau fünf Mal gesehen, davon einmal bei seiner Beerdigung und ein anderes Mal beim Rechtsanwalt. Cassies Internat informiert mich regelmäßig über ihr Befinden, aber von Cassie selbst höre ich nichts.
    Offenbar ist Cas überzeugt, dass ihr Vater noch leben würde, wenn ich nicht in sein Leben getreten wäre. Manchmal überkommt mich selbst sogar dieses Gefühl, und das macht alles noch schlimmer.
    Habe ich irgendetwas getan, was zu seinem Tod führte?
    Hätte ich irgendetwas tun können, um den Unfall zu verhindern?
    Wenn Rob doch nur …
    Wenn ich doch nur …
    Wenn, wenn, wenn …
    Ich habe meinen Job immer geliebt. Leidenschaftlich. Ich musste mir jeden Schritt auf dem Weg zu meiner jetzigen Stellung erkämpfen, und das verschafft mir eine Befriedigung, die ich wohl nicht empfände, wenn mir alles mühelos zugefallen wäre.
    Naked gehört zu den eher seriösen Zeitschriften, in denen es nicht in jedem zweiten Artikel darum geht, wie man sein Sexleben aufpeppt oder seinen Freund in vier Schritten vom Primitivling zum Sexgott erzieht. Nein, wir behandeln ernsthafte Themen – gesellschaftspolitische Zusammenhänge, Armut, Hunger, Krankheiten –, und zur Erholung befassen wir uns zwischendurch mit den schönen Künsten.
    Die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, sind wie eine Familie für mich. Manche mag ich sehr gerne, andere würde ich am liebsten nur zu Weihnachten sehen müssen.
    Dora gehört zu denen, die mir ans Herz gewachsen sind. Sie hat die Gesichtsfarbe und den runden Kopf
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