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Wiedersehen in Kairo

Wiedersehen in Kairo

Titel: Wiedersehen in Kairo
Autoren: Jutta Ahrens
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zum Haus hin und fragte leichthin: »Warum gehen wir nicht hinein?«
    »Klar!«, rief Manolis, und sie liefen den Hunden hinterher.

Haben Sie heute schon eingekauft?
    Politiker sind korrupt, Manager profitgeil, Sozialhilfe-Empfänger Schmarotzer und Asylanten getarnte Mafiosi. Das alles wissen wir und sind froh, dass wir zu den Guten gehören, die ihre Flaschen nach Farben getrennt in die Glascontainer werfen, auch Schwarze freundlich grüßen und jeden Monat zehn Euro an Greenpeace überweisen.
    Natürlich meiden Sie McDonald’s und Burger King oder suchen diese Stätten höchstens spät nachts in Tarnkleidung auf. Sie knabbern Vollkornkekse aus dem Reformladen und kaufen Äpfel aus brandenburgischen Landen.
    Doch leider haben auch Sie die längste Zeit in der moralischen Hängematte überwintert. Sie gehören nach wie vor zu den Übeltätern. Auch ich bin früher nicht besser gewesen. Heute hingegen darf ich mich zu den Geläuterten zählen. Wie das kam? Lassen Sie es mich erzählen:
    Es war ein Morgen wie jeder Morgen. Bevor ich mich von einem verschlafenen Menschen in einen Konsumenten verwandelte, machte ich mir meinen Morgenkaffee und las die Morgenzeitung. Schon damals befand ich mich nicht auf der untersten Stufe, dem sogenannten Konsumenten-Soziopathen. In meinem Kühlschrank gab es nur Eier von glücklichen Hühnern, meine Plastiktüten waren recycelbar, und in Joghurtbechern züchtete ich Kressesamen. Natürlich besaß ich weder Pelze, Krokotaschen oder Elfenbeinschnitzereien. Damals glaubte ich noch, mein Gewissen mit diesen Dingen beruhigen zu können.
    Beinahe hätte ich den Kaffee wieder ausgespuckt, so schlecht wurde mir, denn in der Zeitung stand, dass wir Bundesbürger uns von dem Schweiß armer Kaffeebauern aus Nicaragua ernähren. Geschmacksmäßig hatte ich schon immer den Verdacht. Rasch goss ich den Kaffee weg und betrachtete mit Abscheu mein halb volles Glas mit Pulverkaffee einer weltbekannten Marke. Was sollte ich mit diesem viel zu preiswert eingekauften Kaffee bloß tun? Ich beschloss, ihn an eine Gastarbeiterfamilie zu verschenken.
    Nachdem ich um meinen Kaffee gebracht worden war, schaute ich im Küchenschrank nach. Eine Packung Ceylontee fiel mir in die Hände. Misstrauisch beäugte ich sie. Schmale, gebeugte, unterbezahlte Teepflücker schoben sich vor mein geistiges Auge. Rasch stieß ich die Packung ganz nach hinten und ließ ein Glas Leitungswasser einlaufen. Ich hatte gehört, dass unsere Klärwerke noch gut funktionieren, und trank es unbesorgt. Dumpf erinnerte ich mich zwar daran, dass das Trinkwasser auf der Erde immer knapper wurde, aber dafür hatte ich das Baden eingeschränkt.
    Ich warf die gelesene Zeitung ins Altpapier. Ein Blick in diese Ecke machte mir klar, dass da ein ganzer Baum lagerte. Bedrückt entrümpelte ich den Haufen und schleppte ihn einen Kilometer zum Papiercontainer. Mit Abscheu dachte ich an die Autobesitzer, die ihren Containermüll per Pkw entsorgten. So tief gesunken war ich zum Glück noch nicht.
    Mehr und mehr wurde mir bewusst, dass ich nicht auf den rechten Pfaden wandelte. In meiner Schublade fand ich eine SOS-Kinderdorf-Überweisung von Weihnachten. Reumütig steckte ich sie ein, ebenso eine Zahlkarte der Hand- und Fußmaler. Was man spendet, kann man nicht für überflüssigen Konsum ausgeben. Solchermaßen moralisch aufgerüstet bestieg ich mein Fahrrad und fuhr zum nächsten großen Kaufhaus. Vor dem Eingang wurden stapelweise Kataloge verkauft. Ich beachtete sie nicht, das war ein Fehler. Stattdessen kaufte ich einem Obdachlosen eine Zeitung ab, die meine Altpapier-Ecke wieder füllen würde – ungelesen. Aber ich konnte mir noch im Spiegel begegnen.
    Ich streifte durch die Abteilungen und betrachtete die Waren. Natürlich wusste ich, an welchen ich naserümpfend vorbeigehen musste: an den Eiern aus Käfighaltung, an den blutleeren Kalbskoteletts, den Produkten mit abgelaufenem Verfalldatum und Äpfeln aus Südafrika.
    An der Fleischabteilung ging ich grußlos vorbei, wer hier einkauft, muss ziemlich hartgesotten sein. Ich überlegte, was ich heute Mittag reinen Gewissens verzehren konnte. Nach etlichem Suchen fand ich ein Brot, das mit Sauerteig gebacken war. Keine chemischen Zusätze zur Schimmelverhütung und so. Aber sicher konnte ich trotzdem nicht sein. Man weiß schließlich nicht, ob Schwarzbrot noch Schwarzbrot ist oder bereits eine Züchtung aus Supergenen tiefozeanischer Schleimwürmer. ›Schleimwurm-Brot‹ schreiben die
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