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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger
Autoren: Alexandra Kui
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könne
versuchen, vor der furchtbaren Nachricht davonzulaufen.
    Â»Sie wissen es schon?«
    Â»Ich weiß gar nichts«, sagt Liv.
    Dem Beamten ist anzumerken, dass er die Sache hinter sich bringen
möchte. »Ihr Großvater wurde heute Morgen auf dem
ehemaligen Firmengelände der Lübecker Metallhüttenwerke
tot aufgefunden. Wie es aussieht, lag er die ganze Zeit unter den
Trümmern der Fabrik.«
    Plötzlich kann sie aufstehen. Liv schießt aus dem Sofa
hoch und beginnt, im Raum auf und ab zu gehen. Beide Handballen gegen
die Schläfen gepresst, stampft sie zwischen Couch und
Schreibtisch hin und her, ihr Atem kommt stoßweise. »Wenn
das stimmt«, bringt sie hervor, »verstehe ich nicht,
wieso er mir heute eine SMS geschickt hat, um mir zum Geburtstag zu
gratulieren.«
    Livs Hoffnung, der Tote unter den Trümmern könnte jemand
anderes sein, erfüllt sich nicht. Tönges lebt nicht mehr,
er wurde erschlagen. Das steht bei der Beerdigung längst fest.
Vielleicht werden in den Grabreden deswegen so viele Lügen über
ihn verbreitet. Was für ein liebenswürdiger und
herzensguter Ehemann, Vater und Großvater er gewesen sei, stets
um das Wohl der Familie besorgt. Zudem ein verantwortungsvoller
Unternehmer und Bürger der Stadt Lübeck, ein verdientes
Mitglied der Gesellschaft. Das jedenfalls stimmt.Dabei hätte man
es bewenden lassen können.Außer Liv scheint es jedoch
niemanden aus der Familie zu stören, dass er nachträglich
zum Heiligen erklärt wird. Da Ermittler der Kripo anwesend sind,
scheinen die anderen ohnehin in erster Linie darauf bedacht, einen
unverdächtigen Eindruck zu hinterlassen. Henny, eben noch mit
der Organisation ihrer Scheidung beschäftigt, gibt die trauernde
Witwe in Vollendung, wobei das regnerische Wetter der Inszenierung
zupasskommt. Ihren neuen Freund hat sie nicht mitgebracht.
    Liv ist weit davon entfernt, sich auf irgendeine Weise zu
verstellen, sie hat das Gefühl, immer noch unter Schock zu
stehen. Es würde auch nichts nützen,die Polizei hat sie
sowieso bereits im Visier. Immer an ihrer Seite:Aaron und Max, ohne
die Liv die vergangenen Tage sicher niemals durchgestanden hätte.
Selbst jetzt rechnet sie damit, jeden Augenblick tot umzufallen. Eine
Art Wunschdenken vermutlich, denn dann hätten endlich die
Selbstvorwürfe ein Ende, mit denen sie sich quält: Sie
hätte Tönges finden müssen, die Fabrik war ihr
anvertraut worden, sie hat vor der Sprengung das gesamte Gebäude
kontrolliert. Zu diesem Zeitpunkt lag Tönges bereits mit
eingeschlagenem Schädel tot unter dem Gerümpel im Keller,
welches sie nicht genauer untersucht hat. Retten können hätte
sie ihn also keinesfalls, das ist ein Trost. Dennoch wünscht sie
– auch um ihrer selbst willen –, sie hätte ihn
damals entdeckt und sich damit nicht nur die Ungewissheit und die
vergebliche Suche in Island erspart, sondern auch die Demütigung,
heute zum Kreis der Verdächtigen zu zählen, nur weil sie
sich auf der Baustelle auskennt. Die Kripo begegnet ihr mit
Misstrauen. Liv wurde schon mehrfach verhört, außerdem hat
sie sich freiwillig auf eine Durchsuchung ihrer Wohnung eingelassen.
Gefunden hat man natürlich nichts.
    Nach der Beisetzung tritt ein Kripofatzke an sie heran, ein
magerer Blousonträger mit Mundgeruch. »Wir haben gehört,
Sie waren kürzlich in Island?«
    Â»Ja. Und?«
    Â»Wir haben die Mobilfunkdaten überprüft. Die
Geburtstagsgrüße, die auf Ihrem Handy eingegangen sind,
wurden aus Reykjavík verschickt. Können Sie sich das
erklären?«
    Â»Nein«, sagt Liv wahrheitsgemäß, während
es in ihr brodelt, weil sie sich mit Macht dagegen stemmt, etwas zu
erfassen, das sie schon länger ahnt, aber nicht wirklich
begreift. »Sie verschweigen uns doch etwas.«
    Â»Das hier ist eine Trauerfeier. Haben Sie denn vor nichts
Respekt?«
    Liv will Zeit gewinnen, und ihr Plan geht auf.
    Â»Kommen Sie morgen um acht Uhr früh ins Präsidium«,
sagt der Polizist.
    Liv verspricht es bereitwillig und kann ihre Erleichterung kaum
verbergen. Sie weiß, morgen früh wird sie fort sein:
Gleich nach dem Leichenschmaus ins Auto,aufpassen, dass niemand ihr
folgt, rauf nach Fehmarn, auf die Fähre Puttgar-den-R0dby,
weiter nach Kopenhagen und von dort ins erste Flugzeug nach Island.
    Tatsächlich gelingt es Liv, sich unbemerkt aus
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