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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger
Autoren: Alexandra Kui
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kann nicht verhindern, dass sich ihre Augen mit Tränen
füllen.Sie steht auf und geht zum Fenster. Der Schatten soll
nicht sehen, wie sie weint, nur das nicht.
    Â»Amma mín ,du humpelst ja immer noch so schrecklich.
Ich hab gehört, dass du krank warst, aber ich wusste doch nicht,
wie schlimm es ist.« Das ist die Stimme des Enkels. Ein
Aufbäumen. Sein Herz, das noch schlägt.
    Â»Ach, diese verfluchten Kühe. Bösartig sind die,
das sag ich dir, bösartig und dumm«, schimpft Fritzi.
    Â»Du hättest sie nicht allein auf die Weide treiben
sollen. Dafür bin ich da. Ich mach das gern für dich.«
    Â»Du warst eben nicht da. Seit wann bist du überhaupt
zurück in Island? Und warum hast du dich nicht gemeldet?«
    Â»Es tut mir leid, Amma.«
    Er stellt sich hinter sie, legt die Hände auf ihre Schultern,
was das Weinen verstärkt, bis es außer Kontrolle gerät.
Fritzi schluchzt, ringt um Fassung. Die Berührung verändert
sich, verhärtet, sie spürt, wie seine Hilflosigkeit sich
gegen sie richtet. Ein falsches Wort jetzt, und er wäre bereit,
ihr die Luft abzudrücken.
    Sie schweigt, bis der Schatten sich von ihr löst.
    Â»Die Reise war ein Fehler. Du hättest das nicht von mir
verlangen dürfen«, sagt er.
    Â»Ich weiß.«
    Â»Du hast nur gesagt, ihr habt als Kinder etwas Schlimmes
getan, aber nicht, wie schlimm es war.Wie furchtbar. Du hättest
mich warnen müssen.«
    Â»Ich weiß«, wiederholt sie. Nur in Gedanken der
Versuch, sich zu rechtfertigen: Sie hat ja nichts verlangt, bloß
um einen Gefallen gebeten und dies sogleich bereut. Vor seiner
Abreise. Er war nicht mehr aufzuhalten, taub für ihre Einwände.
Sinnlos, ihn nun darauf hinzuweisen. Was auch immer in Deutschland
vorgefallen ist – er gibt ihr die Schuld daran. Ein Satz, den
sie mal irgendwo gelesen hat, fällt ihr ein: »Wer
fortgeht, kehrt niemals zurück.« Jede weite Reise formt
einen neuen Menschen. Das mag oft Gutes bewirken. Diesmal nicht.
    Â»Hast du damals gedacht, du könntest alles vergessen,
wenn du dich klammheimlich aus dem Staub machst, ohne Abschied? Weißt
du eigentlich, wie sehr dein Bruder gelitten hat? Ich dachte, du hast
ihn geliebt, er war doch dein Komplize, dein einziger Vertrauter. Tat
es dir nicht wenigstens um ihn leid?«
    Â»Sicher tat es mir leid. Und ich habe mir nie eingebildet,
irgendetwas vergessen zu können.Alles, was ich wollte, war
Abstand.«
    Er schnaubt verächtlich. Des Enkels Schatten als
Moralwächter, das eigene Gewissen schwarz wie eine Winternacht.
Fritzi kennt das von sich, diese Bereitschaft, anderer Leute Handeln
hart zu verurteilen, weil man sich selbst nicht mehr erträgt.
    Sie schaut aus dem Fenster. Die See flach wie eine Glasplatte in
Blau und Grün, irgendwo weit,weit weg am anderen Ufer die Heimat
mit ihren Schrecken.
    Â»Hast du keine Fragen?«, will der Enkel wissen.
    Â»Doch. Darf ich sie jetzt stellen?«
    Â»Nein, ich habe doch gesagt, es gibt nichts zu berichten.«
Wieder wird er laut.
    Â»Das nehme ich so hin. Bis du deine Meinung änderst.«
»Werde ich nicht.«
    Sie sucht seinen Blick, er meidet den ihren. Keinen Meter von ihr
entfernt steht er auf demselben festen Holz und fällt ins
Bodenlose. Sie sieht es und kann nichts dagegen tun. Unmöglich,
ihn zu halten.
    Aber es gibt etwas, das gesagt werden muss, dieses eine Mal darf
sie die Gelegenheit nicht versäumen. Fritzi rafft all ihren Mut
zusammen: »Ich liebe dich, Junge.«
    Daheim in Lübeck stellt Liv fest, dass sie das Messer ihres
Großvaters verloren hat, was ihr das Gefühl gibt, sich
noch ein Stück weiter von ihm entfernt zu haben. Sie hat
Schwierigkeiten, sich einzugewöhnen, leidet ständig unter
Atemnot, als wäre sie in einem Karton eingesperrt. Tagelang. Sie
weiß nicht, woran es liegt, ob die isländische Weite ihr
fehlt oder ob das Eingeständnis, mit ihrer Suche gescheitert zu
sein, welches sie auf Nachfrage von Verwandten und Kollegen ständig
wiederholen muss, ihr die Luft abzwängt.
    Eine Woche vergeht, bis sie endlich Rúnar erreicht, um ihn
wegen seiner Großmutter zur Rede zu stellen. Er ist keineswegs
angetan, ihre Stimme zu hören, seine Antworten sind sogar noch
patziger als ihre Fragen.
    Â»Wie heißt deine Oma?«
    Â»Fritzi Hartmann.«
    Â»Wieso hast du mir nicht von ihr erzählt?« »Weil
sie nicht diejenige
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