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Wie wir gut zusammen leben

Wie wir gut zusammen leben

Titel: Wie wir gut zusammen leben
Autoren: Juergen Manemann
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Politik ist die Kunst des Unmöglichen.

I n unserer Gesellschaft breitet sich eine »Prozessmelancholie« (Peter Sloterdijk) aus. Immer mehr Menschen empfinden ihr Leben als belanglos. Der Philosoph Peter Sloterdijk beschreibt dieses Lebensgefühl mit der Metapher der Rolltreppe. Auf der Rolltreppe kommt man ohne eigenes Zutun automatisch weiter. Alles geht seinen Gang, egal, ob man etwas tut oder nicht. Im Verlauf dieser Entwicklungen wurden Erwartungen verkleinert, Visionen abgeschafft. Die Folgen sind unübersehbar: Resignation auf der einen, Ressentiment auf der anderen Seite. Hier Hass, dort Apathie. Aus dieser Perspektive betrachtet, ist nicht Politikverdrossenheit das dringlichste Problem, auch nicht Politikerverdrossenheit, sondern eine Politikunfähigkeit. Politikunfähigkeit gründet zum einen in Hoffnungslosigkeit, zum anderen in der Angst, der Politik nicht gewachsen zu sein. Politik hat nämlich mit dem zu tun, was alle angeht. Deshalb geht es in der Politik immer um das Ganze. Als solche ist Politik eine stete Überforderung. Die Apathie der Politikunfähigkeit aufzubrechen, das ist das Programm der Rückkehr der Politik.
    Das Gegenprogramm zu dieser Politik ist die immer wieder von Politikern präsentierte »Realpolitik«. Peer Steinbrück steht für den Typus des Realpolitikers in der Gegenwart:
    » Die Wirklichkeit richtet sich – leider – nicht nach der Beschlusslage unserer SPD. Wäre es so, sähe sie zweifellos viel besser aus. Aber wir können und sollten uns auch in unseren Debatten keine andere Welt malen – weder durch Schönreden noch durch Schwarzmalen und am allerwenigsten durch Realitätsferne. Unser Kurs muss hart an der Wirklichkeit sein. Es bleibt auch im 21. Jahrhundert die Aufgabe der deutschen Sozialdemokratie, zu sagen, was ist, und entsprechend zu handeln – solide und pragmatisch, mit Blick auf das Machbare und mit Leidenschaft für das Mögliche. Das mag nicht sonderlich mitreißend klingen, aber diese wenigen Worte beschreiben für mich den Unterschied zwischen ›gut gemeint‹ und ›gut gemacht‹.« (peer-steinbrueck.de/reden-und-texte, 01.12.2012)
    Was aber heißt hier »Realität«, was ist »Wirklichkeit«? Wer weiß schon, was in der Realität möglich ist und was nicht? Ja, wie können wir überhaupt herausfinden, was unsere Wirklichkeit an Möglichkeiten bereitstellt? Wer tatsächlich das Mögliche Wirklichkeit werden lassen möchte, der muss immer auch das Unmögliche wünschen. Realpolitiker definieren Politik mit den Worten Bismarcks: »Politik ist die Kunst des Möglichen.« Wenn politisches Handeln nur als Kunst des Möglichen verstanden wird, wird es sich in der Aufrechterhaltung des Status quo erschöpfen und Möglichkeiten ungenutzt lassen. Das Unmögliche ist nicht das Gegenteil des Möglichen, sondern dessen Bedingung. Da die sogenannte Realpolitik auf diese Zusammenhänge nicht genügend reflektiert, wirkt sie letztendlich krisenverstärkend – und nicht nur das. Sie zerstört mit ihrem sogenannten Realitätssinn Möglichkeitssinn. Ohne eine Politik als Kunst des Unmöglichen gibt es keine Politik als Kunst des Möglichen. Für dieses Politikverständnis stand bekanntlich der tschechische Präsident Václav Havel (1936–2011). Weil Politik die Kunst des Unmöglichen ist, sollte sich, so Hans Magnus Enzensberger,
    »für einen anderen Beruf entscheiden, wer es auf einleuchtende, glatte, eindeutige Lösungen abgesehen hat. Wenn er anspruchsvoll genug ist, wäre die Zahlentheorie für ihn ein verlockendes Arbeitsfeld; wer sich mit weniger begnügt, der möge sich die Zeit mit einer Patience vertreiben, in der Hoffnung, dass sie aufgeht und ihm ein schönes, wenn auch flüchtiges Erfolgserlebnis beschert.«
    Die Rückkehr der Politik steht für eine Politik, die sich nicht mit Realitätssinn begnügt, sondern Möglichkeitssinn entfacht. Es gilt: »Alle Politik muss real sein. Alle Politik muss ideal sein. Beide Sätze sind wahr, wenn sie miteinander verbunden werden und sich wechselseitig ergänzen. Beide Sätze sind falsch, wenn sie einander ausschließen« (Josef Kaspar Bluntschli, 1808–1881). Ein solches Politikverständnis steht quer zum Optimismus derRealpolitiker. Optimismus ist keine politische Kategorie. Politik, so formulierte Friedrich Nietzsche einst, ist das Organon, also das Instrument des Gesamtdenkens. Optimismus denkt nicht das Ganze, Optimismus schneidet weg, lässt aus, kehrt unter den Teppich: negative Tatsachen und Erfahrungen,
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