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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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ganz aus dem Blick. Doch insofern Handeln nicht aus Notwendigkeit entspringt, sondern aus Neigung, insofern es spontan ist, nicht sklavisch und mechanisch, haben wir es nicht mit Fron zu tun, sondern mit Muße. Das – und nicht Untätigkeit – ist unser Ideal. Nur weil es unserer Kultur an Fantasie fehlt, glauben wir, Kreativität und Erfindungsgeist – soweit sie gerade nicht darauf gerichtet sind, ökonomische Abläufe zu verbessern – müssten immer durch Geld stimuliert werden.
    »Das ist alles ganz wunderbar«, werden unsere Kritiker vielleicht einwenden, »aber es ist kaum zu erwarten, dass eine Reduzierung von extern motivierter Tätigkeit zu mehr Muße in dem hochfliegenden Sinn, wie ihr das Wort verwendet, führen wird. Faulpelze wie wir brauchen den Stimulus des Geldes, damit wir uns bewegen. Sonst kommt unsere natürliche Trägheit zum Vorschein, und das endet dann nicht beim guten Leben, sondern in Langeweile, Neurosen und Alkohol. Lest ein paar russische Romane, dann werdet ihr sehen, was ich meine.«
    Einem solchen Einwand kann man nur mit einem Glaubensbekenntnis begegnen. Eine generelle Reduzierung der Arbeitszeiten wurde noch nie versucht, deshalb wissen wir nicht sicher, welche Folgen sie hätte. Aber wir können einfach nicht glauben, dass sie so verhängnisvoll wären, wie unsere Kritiker meinen, sonst wäre das zentrale Projekt der modernen europäischen Kultur, die Verbesserung des Lebens aller Menschen, eitler Wahn. Wenn das letzte Ziel von Fleiß Untätigkeit wäre, wenn wir uns nur anstrengen und Dinge schaffen würden, damit unsere Nachkommen ihr Leben vor dem Fernsehapparat verbringen können, dann ist aller Fortschritt, wie Orwell gesagt hat, »ein wahnsinniger Kampf auf ein Ziel hin […], das, wie man hofft und betet, nie erreicht werden wird«.[ 3 ] Wir befinden uns in der paradoxen Situation, dass wir uns zu immer neuen Höchstleistungen antreiben, nicht weil wir denken, sie seien der Mühe wert, sondern weil jede Tätigkeit, wie nutzlos sie auch sein mag, besser ist als keine Tätigkeit. Wir
müssen
an die Möglichkeit echter Muße glauben – sonst ist unsere Lage tatsächlich verzweifelt.
    Eine andere Überlegung macht uns Hoffnung. Die Vorstellung, der Mensch sei von Natur aus faul und lasse sich nur durch die Aussicht auf Gewinn zur Tätigkeit bewegen, ist erst in der modernen Zeit aufgekommen. Insbesondere Ökonomen sehen die Menschen als Lasttiere, die Zuckerbrot oder Peitsche brauchen, damit sie überhaupt etwas tun. »Unsere Bedürfnisse mit der geringsten Anstrengung auf das Höchste zu befriedigen« – so hat William Stanley Jevons, ein Pionier der modernen ökonomischen Theorie, das Problem der Menschheit formuliert.[ 4 ] In der Antike hatte man eine andere Sicht. Die Bürger Athens und Roms waren zwar ökonomisch unproduktiv, aber im höchsten Maße aktiv – in der Politik, in Kriegen, in Philosophie und Literatur. Warum nehmen wir uns anstatt dem Esel nicht sie zum Vorbild? Natürlich wurden die Bürger Athens und Roms von früh an im klugen Gebrauch der Muße unterwiesen. Unser Projekt schließt ähnliche erzieherische Bemühungen mit ein. Wir können nicht erwarten, dass eine Gesellschaft, die daran gewöhnt ist, ihre Zeit für sklavische und mechanische Tätigkeiten zu verwenden, über Nacht eine Gesellschaft freier Menschen wird. Aber wirsollten nicht daran zweifeln, dass das Ziel prinzipiell erreichbar ist. Bertrand Russell formulierte das in einem Aufsatz, der gerade mal zwei Jahre vor Keynes’ Schrift erschien – ein weiteres Beispiel für die stimulierende Wirkung der Wirtschaftskrise –, mit der üblichen Klarheit:
    Man wird behaupten, dass wohl ein wenig Muße angenehm sei, dass die Leute aber nicht wüssten, womit ihre Tage ausfüllen, wenn sie nur vier von 24 Stunden arbeiten würden. Soweit das in der modernen Welt zutrifft, ist damit unserer Zivilisation das Urteil gesprochen; für jedwede frühere Epoche hätte es nicht gegolten. Früher waren die Menschen noch fähig, sorglos und verspielt zu sein, was bis zu einem gewissen Grade durch den Kult mit der Tüchtigkeit verschüttet wurde […] Die Unterhaltung der Stadtbewohner ist überwiegend passiv geworden: Man sieht sich Filme an, geht zu Fußballspielen, hört Radio und so fort. Das ergibt sich aus der Tatsache, dass ihre aktiven Kräfte völlig von der Arbeit absorbiert werden; bei mehr Muße würden sie auch wieder an Unterhaltungen Vergnügen finden, bei denen sie aktiv mitwirken.[ 5 ]
    Wir
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