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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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institutionelle Grenzen stoßen und dann wäre ein »stationärer Zustand« erreicht. Für Keynes’ Lehrer Alfred Marshall war Wirtschaftswissenschaft die Erforschung der »materiellen Voraussetzungen des Wohlergehens«, eine Definition, die das aristotelische und christliche Konzept von Wohlstand als Mittel zum Zweck bewahrt. Nach Marshall änderte die Wirtschaftswissenschaft jedoch ihren Kurs. Lionel Robbins bezeichnete sie in einer klassischen Definition als »die Wissenschaft, die das menschliche Handeln als Verhältnis zwischen Zwecken und knappen Mitteln, für die es alternative Verwendungen gibt, untersucht«.[ 10 ] Robbins’ Definition stellt die Knappheit in den Mittelpunkt und klammert Werturteile aus. Domäne der Wirtschaftswissenschaft ist die Suche nach effizienten Mitteln für bestimmte Zwecke, aber über diese »Zwecke« äußert sich der Ökonom in seiner Eigenschaft als Ökonom nicht. Er nimmt nur an, dass sie immer die uns zur Verfügung stehenden Mittel zu ihrer Erreichung übersteigenwerden, das heißt, dass Knappheit ein fester Bestandteil der
condition humaine
ist.
    Wenn uns die Knappheit immer begleitet, dann werden wir Effizienz, den optimalen Einsatz knapper Ressourcen, Wirtschaftswissenschaft, die uns Effizienz lehrt, allezeit brauchen. Doch der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass die Knappheit immer seltener wird. Wir wissen, dass Hungersnöte Zeiten extremer Knappheit sind und gute Ernten relative Fülle produzieren. Malthus erkannte, dass die Knappheit zunimmt, wenn die Bevölkerung schneller wächst als das Nahrungsmittelangebot; im umgekehrten Fall nimmt die Knappheit ab. Außerdem ist die Knappheit, wie die meisten Menschen den Begriff verstehen, in der Mehrzahl der Gesellschaften in den letzten 200 Jahren zurückgegangen. In reichen und auch in mittelmäßig reichen Ländern verhungern Menschen nicht mehr. Das impliziert, dass die gesellschaftliche Bedeutung von Effizienz geringer geworden ist und mit ihr der Nutzen der Ökonomie.
    Der erste Schritt zu einer vernünftigen Argumentation in dieser Sache ist, sich Knappheit in Relation zu
Bedürfnissen
und nicht zu Begierden vorzustellen. Und so denken wir auch normalerweise. Ein Mann, der drei Häuser besitzt, ist nach unserem Verständnis nicht in einer ernsten Notlage, so dringend sein Wunsch nach einem vierten Haus auch sein mag. »Er hat genug«, sagen wir vielleicht, und damit meinen wir »genug, um seine Bedürfnisse zu erfüllen«. Eklatante Beispiele von Unersättlichkeit – wie etwa die nicht zu beherrschende Begierde, Katzen oder Puppenhäuser zu sammeln – gelten gemeinhin als unnormale, pathologische Fälle. (Ökonomen wie Psychoanalytiker neigen dagegen dazu, die Neurose für die Norm zu halten.) Wir alle sind im Prinzip in der Lage, unsere Begierden auf unsere Bedürfnisse zu begrenzen; das Problem ist, dass eine auf Wettbewerb und Geldwert ausgerichtete Ökonomie uns unter Druck setzt, immer mehr zu wollen. Die »Knappheit«, von der die Ökonomen sprechen, ist zunehmend ein Erzeugnis dieses Drucks. Wenn wir unsere Lage im Hinblick auf unsere vitalen Bedürfnisse betrachten, dann sehen wir nicht Knappheit, sondern vielmehr extremen Überfluss.
    Ausgangspunkt der folgenden Ausführungen ist,
dass die materiellen Bedingungen für ein gutes Leben bereits existieren,
zumindest im reichen Teil der Welt, dass aber die blinde Jagd nach Wachstum es uns permanent vorenthält. Unter solchen Umständen sollte es das Ziel von Politik und anderen Formen des kollektiven Handelns sein, für eine wirtschaftliche Organisation zu sorgen, die die guten Dinge im Leben – Gesundheit, Achtung, Freundschaft, Muße und andere – uns allen zugänglich macht. Wirtschaftswachstum sollte als eine Begleiterscheinung, nicht als ein Ziel behandelt werden.
    Eine solche Verschiebung wird unweigerlich unsere Einstellung zur Ökonomie verändern. Unsere Zeit möglichst effizient zu nutzen, wird immer weniger wichtig sein, und deshalb wird die Wirtschaftswissenschaft, wie sie sich seit Robbins entwickelt hat, ihren Platz als Königsdisziplin der Sozialwissenschaften verlieren. Sie kann uns an die Schwelle der Fülle führen, aber dann muss sie die Kontrolle über unser Leben aufgeben. Das hatte Keynes im Sinn, als er schrieb, eines Tages würden die Ökonomen so nützlich sein wie
Dentisten.
[ 11 ] Er wählte seine Worte immer mit Bedacht: Als Dentisten, nicht als Ärzte, würde die Welt Ökonomen brauchen; an den Rändern des Lebens, nicht als
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