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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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ständige und schon gar nicht als kontrollierende Instanz.
                * Nigel Lawson und Bjørn Lomborg haben (neben anderen) argumentiert, die beste Reaktion auf die Erderwärmung sei, den technischen Fortschritt voranzutreiben, um die schädlichen Wirkungen abmildern zu können. Manche Ökonomen sagen auch, reiche Länder seien tatsächlich glücklicher als arme. Details erörtern wir in den Kapiteln 4 und 5.

1    KEYNES’ IRRTUM
    Reichtum hat keine Grenze, die greifbar den Menschen gesetzt ist.
    S OLON
    Im Jahr 1928 sprach Keynes vor Studenten in Cambridge über das Thema »wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder«. Er wusste, dass sie vom Kapitalismus sehr enttäuscht waren und die Sowjetunion als ein Leuchtfeuer betrachteten. Keynes selbst hatte erkannt, dass der Fortschritt »ein schmutziger Glaube« war, »schwarz von Kohlenstaub und Schießpulver«, und der Kommunismus deshalb so verlockend wirkte, weil er trotz aller Barbarei als »die erste Regung einer großen Religion« erscheinen konnte.[ 1 ] Wenn Keynes seine Zuhörer von diesem Götzen abbringen wollte, musste er sie überzeugen, dass auch der Kapitalismus ein utopisches Projekt war – ein effizienteres utopisches Projekt als der Kommunismus, weil nur er den Überfluss bringen könnte, der ein gutes Leben für alle ermöglichen würde. In der Rede in Cambridge verlieh Keynes seinen utopischen Gedanken zum ersten Mal Ausdruck.
    Zwei Jahre später, als er den Text seiner Rede für die Veröffentlichung überarbeitete, herrschte die Weltwirtschaftskrise: Der Kapitalismus schien ökonomisch und moralisch bankrott, der Kommunismus umso attraktiver. Aber Keynes passte seine Botschaft geschickt der neuen Situation an. »Wir leiden nicht unter dem Rheumatismus des Alters«, schrieb er, »sondern unter den Wachstumsschmerzen überschneller Veränderungen, unter der Schmerzhaftigkeit des Übergangs von einer Wirtschaftsperiode zu einer anderen.« Die Weltwirtschaftskrise war zumindest zum Teil Symptom einer »technologischen Arbeitslosigkeit« – »Arbeitslosigkeit, weil unsere Entdeckung von Mitteln zurErsparung von Arbeit schneller voranschreitet als unsere Fähigkeit, neue Verwendungen für die Arbeit zu finden«. Technologische Arbeitslosigkeit deutete auf eine Zukunft ohne Arbeit voraus, aber eine Zukunft, die freiwillig ohne Arbeit sein würde, nicht gezwungenermaßen.
    Keynes stellte die ökonomische Logik in den Dienst seiner Prophezeiung. Er zitierte historische Raten für Kapitalakkumulation und technischen Fortschritt und rechnete vor, wenn die Kapitalausstattung um 2 Prozent jährlich anwachse und die »technische Leistungsfähigkeit« um 1 Prozent jährlich, werde »die Lebenshaltung der fortschrittlichsten Länder in 100 Jahren vier- bis achtmal so hoch sein […], als sie heute ist«. Diese Projektion führte ihn zu dem Schluss, »unter der Annahme, dass keine wichtigen Kriege und keine erhebliche Vermehrung der Bevölkerung stattfinden, [wird] die Lösung des ökonomischen Problems in 100 Jahren zum mindesten in Sicht sein«.[ * ]
    Damit meinte Keynes, die Menschheit werde dann imstande sein, all ihre materiellen Bedürfnisse mit einem Bruchteil des gegenwärtigen Arbeitsaufwands zu befriedigen – höchstens drei Stunden täglich, damit »der alte Adam in uns […] zufrieden ist«. Der Überfluss an Zeit könne zu einem »Nervenzusammenbruch jener Art« führen, der »schon oft genug unter den Ehefrauen der wohlhabenden Klassen vorkommt«. Aber Keynes hoffte, dass das nicht geschehen würde. Er blickte vielmehr auf eine Zeit voraus, in der die spontane, freudige Einstellung zum Leben, die noch den Künstlern und Freigeistern vorbehalten war, auf die gesamte Gesellschaft übergreifen würde. Der Aufsatz endet mit einem rhetorischen Feuerwerk, das Aristoteles und das Neue Testament verbindet:
    Ich sehe also für uns die Freiheit, zu einigen der sichersten und gewissesten Grundsätze der Religion und herkömmlichen Tugend zurückzukehren: dass Geiz ein Laster ist, das Verlangen von Wucherzinsen ein Vergehen, die Liebe zum Geld verächtlich, und dass diejenigen, die sich am wenigsten um den Morgen sorgen, am wahrsten in den Pfaden der Tugend und maßvoller Weisheit wandeln. Wir werden die Zwecke wieder höher werten als die Mittel und werden das Gute dem Nützlichen vorziehen. Wir werden wieder diejenigen ehren, die uns lehren, wie der Stunde und dem Tage tugendhaft und gut gerecht zu werden, jene köstlichen
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