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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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Menschen, die zu einem unmittelbaren Genuss der Dinge fähig sind, die Lilien des Feldes, die sich nicht mühen und die nicht spinnen.[ 2 ]
    Keynes’ Freund, der Philosoph Frank Ramsey, hatte ein Wort für diesen paradiesischen Zustand: Er nannte ihn »Bliss« – »Glückseligkeit«.
    Der Kapitalismus – das Leben mit ökonomischem Kampf und Geldverdienen – war somit ein vorübergehender Zustand, ein Mittel zum Zweck, und der Zweck war ein gutes Leben. Wie kann ein solches Leben aussehen? Der Philosoph G. E. Moore, bei dem Keynes in Cambridge studierte, hatte in seinen
Principia Ethica
geschrieben, »die bei Weitem wertvollsten Dinge, die wir kennen oder uns vorstellen können, sind gewisse Bewusstseinszustände, die sich summarisch umschreiben lassen als die Freuden menschlichen Umgangs und das Genießen schöner Dinge«. Und weiter heißt es: »Nur um dieser Dinge willen – damit irgendwann so viele davon wie möglich existieren – [ist] eines Menschen öffentliche oder private Pflichterfüllung zu rechtfertigen […] [Sie allein bilden] den vernünftigen Endzweck menschlichen Handelns und das einzige Kriterium gesellschaftlichen Fortschritts.«[ 3 ]
    Das, so sagte Keynes später, sei »Religion unter der Oberfläche«. Als Ökonom und Spekulant lebte Keynes die meiste Zeit in den Niederungen des kapitalistischen Handelns, aber er blickte immer auch hinauf in die Höhen von Kunst, Liebe und dem Streben nach Wissen, den seine Freunde in Bloomsbury für ihn verkörperten. »Wirtschaftliche Möglichkeiten«ist ein Versuch, die beiden Seiten seines Charakters – die Zielgerichtetheit und die Spontaneität – zu versöhnen, indem er das eine in der Gegenwart verortete und das andere auf die Zukunft projizierte.
    Der Aufsatz »Wirtschaftliche Möglichkeiten« wurde zu seiner Entstehungszeit praktisch völlig ignoriert, er schien zu fantasievoll für eine ernsthafte Diskussion. Tatsächlich war es ein Gelegenheitswerk, ein Gedankenspiel. Vision und Argumentation umfassen knapp zehn Seiten. Viele Gedankengänge werden nicht zu Ende geführt, Einwände werden erwähnt und gleich wieder fallengelassen. »Es war Keynes von der besten und von der schlechtesten Seite«, schrieb einer seiner Schüler. »Von der schlechtesten Seite, weil manches von seiner gesellschaftlichen und politischen Theorie allzu genauer Prüfung nicht standhält; weil der Gesellschaft die Begierden nicht ausgehen werden, solange der Konsum demonstrativ und kompetitiv ist […] Es war Keynes von der besten Seite, weil der schweifende, forschende, intuitive, provokante Verstand am Werk ist.«[ 4 ]
    So utopisch »Wirtschaftliche Möglichkeiten« auch klingt, es steht in direktem Zusammenhang mit Keynes’ Hauptanliegen: dem Problem der hartnäckigen Massenarbeitslosigkeit. Der Aufsatz liefert die »ideale« Begründung für die Revolution in der ökonomischen Politik, für die Keynes in erster Linie bekannt ist: Anhaltende Vollbeschäftigung ohne Einbrüche ist der schnellste Weg zu der Utopie, die der Aufsatz entfaltet. Keynes wollte sicherstellen, dass das kapitalistische System mit Volldampf arbeitete, um möglichst schnell den Tag zu erreichen, an dem es enden würde.
    Mehr als 80 Jahre sind vergangen, seit er seinen Aufsatz geschrieben hat; wir sind seine »Enkelkinder«, sogar seine Urenkelkinder. Was ist nun also aus seiner Prophezeiung geworden?
D AS S CHICKSAL VON K EYNES ’ P ROPHEZEIUNG
    Keynes’ Aufsatz enthält zwei Voraussagen und eine Möglichkeit. Die Voraussagen betreffen das Wachstum und die Arbeitszeit. Etwas vereinfachendkönnten wir sagen, Keynes sei der Meinung gewesen, wir im Westen seien nun fast so weit, dass wir »genug« haben, um all unsere Bedürfnisse zu befriedigen, ohne länger als drei Stunden täglich arbeiten zu müssen. Die Möglichkeit – keine Voraussage, weil Keynes als Alternative das Szenario der »gelangweilten Hausfrau« aufwirft – besteht darin, dass wir lernen, unsere gewonnene Zeit so zu verwenden, dass es uns gelingt, »weise, angenehm und gut« zu leben. Was ist aus diesen Spekulationen geworden?
    1. Keynes’ Voraussage
    Was nach Keynes’ Erwartung in den reichen Ländern passieren sollte, ist in Schaubild 1 dargestellt. Im Zustand der »Glückseligkeit«, im Jahr 2030, wächst das Einkommen nicht mehr (denn jeder hat genug), und die notwendige Arbeit geht gegen Null (denn fast alles, was Menschen benötigen, wird von Maschinen produziert).
    Vergleichen wir nun die beiden Voraussagen mit den
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