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Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Wie man leben soll: Roman (German Edition)

Titel: Wie man leben soll: Roman (German Edition)
Autoren: Thomas Glavinic
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ihr das Gefühl zu vermitteln, mehr über sie zu wissen, als sie selbst ahnt.
    Man erklärt ihr, wenn sie einem ihre Telefonnummer gebe, könne man ihr ein andermal noch mehr über ihre Zukunft und ihre Persönlichkeit erzählen.
    In erschütterndem Ausmaß vom Alkohol beflügelt, den man nicht verträgt, weil man berufsbedingt fast nichts mehr trinkt, erzählt man in den darauffolgenden Minuten von seiner Kindheit, singt ein Liebeslied, das eigentlich eine Frau singen sollte –
Und sie träumt jetzt immer öfter von Ricardo
–, spricht übers Taxifahren und spottet über Diäten, man sei eben, wie man sei.
    Wenn man kurz darauf zum Casting abgeholt wird, ist man unzufrieden. Viel lieber hätte man sich weiter mit Nadine unterhalten, als vor der Kamera banale Fragen zu seinem Weltbild zu beantworten. Da man sich in solchen Fällen seit jeher auf die sichere Seite schlägt, lässt man sich keine skandalösen Aussagen zu Politik und Gesellschaft entlocken und wird mit einem oberflächlichen Lächeln von den Castern entlassen. In der Halle ist von Nadine nichts zu sehen.
     
    Am Abend, wenn man allmählich nüchtern wird, schämt man sich. Nicht nur Connys wegen, sondern vor allem wegen des Theaters, das man vor Nadine aufgeführt hat. Und wozu das alles? Hat wieder der, der man wirklich ist, zugeschlagen? Der, der nur herauskommt, wenn man getrunken hat? Dann sollte der, der nüchtern ist, den Zettel vernichten, auf dem Nadines Nummer notiert ist.
     
    Merke: Wenn man sich sein ganzes Leben nach Frauen gesehnt hat, die unerreichbar waren, wird man auch nie die Telefonnummer Nadines wählen.

 
    Wenn man nach einem missratenen Casting doch zu einer Talkshow eingeladen wird, ist man verwundert. Nun, da es ernst wird, denkt man nicht im Traum daran, hinzugehen. Leider bekommt Conny Wind von der Einladung. Sie drängt und bettelt und wird unwirsch, und als man sich schließlich umstimmen lässt, stürzt sie zum Telefon, um alle Freunde zu verständigen. Das Thema der Sendung lautet:
Tag und Nacht   – Taxifahrer erzählen
.
    Am Nachmittag der Aufzeichnung findet man sich gemeinsam mit Conny, Mirko, den Kinointellektuellen und einigen anderen Freunden im Studio ein. Man hofft, dass der vor der Sendung genossene Alkohol niemanden von ihnen so beeinträchtigt, dass es Zwischenfälle gibt. In eine Talkshow zu gehen findet man peinlich genug, aber dabei auch noch von illuminierten Freunden kompromittiert zu werden ist eine Vorstellung, die einem Panikattacken beschert, als man hinten in der Maske sitzt und von einer Visagistin Puder ins Gesicht gerieben bekommt.
    Wenn man als sechster männlicher Gast die Bühne betritt, empfängt einen Applaus und kreischendes Gelächter, das man sich nicht erklären kann. Zwar ist man fett, aber dieser Anblick allein sorgt bei anderen gewöhnlich nicht für Heiterkeitsausbrüche. In der zweiten Reihe entdeckt man seine Freunde. Man fragt sich, warum Conny nirgends zu sehen ist.
    Die freundliche Moderatorin beginnt ein auflockerndes Geplänkel. Seit wann man Taxi fahre, ob man sich wohl fühle. Man antwortet einsilbig. Man hat Herzrasen, die vielen Menschen,die Kameras, all dies macht das Studio zu einer Folterkammer, und man verflucht den Zufall, an jenem Tag in der Innenstadt dem Containermädchen in die Fänge geraten zu sein.
    Besonders unwohl fühlt man sich als Talkshowgast, wenn die Moderatorin mit Zuckerlächeln verkündet, man sei nicht hier, um über Taxifahren zu sprechen, man solle überrascht werden. Das Thema der Sendung laute in Wahrheit nämlich:
Überrascht? Ich bin nicht die Person, für die du mich hältst!
    Wenn man erlebt, dass auf einer Leinwand ein heimlich gedrehtes Video abgespielt wird, das einen mit Nadine zeigt, verspürt man den spontanen Wunsch, aus dem Fenster zu springen. Es ist ein zweifelhaftes Vergnügen, sich selbst beim Flirten zu sehen und gleichzeitig zu erleben, wie amüsant das Publikum die Einfälle findet, mit denen man Nadine zu imponieren getrachtet hat. Da beruhigt es auch nicht, wenn der junge Kerl, der neben einem sitzt, einem ins Ohr flüstert, das sei gar nichts, er habe sich noch blöder aufgeführt. Das Publikum tobt vor Freude, und bei der Stelle, in der man sich als Wahrsager versucht, gibt es Zwischenapplaus.
    Man kann die Leute ja verstehen. Ein Hundertfünfzig-Kilo-Mann, der eine kleine Frau aufs Hektischste umbuhlt, kann einen prächtigen Anblick abgeben.
     
    Merke: Das freut einen nicht, wenn man selbst dieser Mann ist.
     
    Wenn
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