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Wie ich Schriftsteller wurde

Wie ich Schriftsteller wurde

Titel: Wie ich Schriftsteller wurde
Autoren: Norbert Golluch
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lassen sich einfach hineingleiten und in der Strömung treiben.
Plötzlich taucht neben mir eine Frau auf – nein, keine Frau, eine Göttin, nackt
und mit traumhaften Formen (was Wunder in einem Traum?).
     
    Beruhigend, es ist nicht die Frau des Platzwartes, die hätte
mir jetzt mit ihrer schicksalhaften Attitüde und ihrer schwerkranken
Verwandtschaft jede Illusion versaut. Mit ausgestreckten Armen tritt sie auf
mich zu, ich strecke ihr meine entgegen in Erwartung einer traumhaften
Umarmung, doch sie hebt das Bein und – stößt meinen Stuhl um.
     
    Stößt einfach meinen Stuhl um. Ich stürze ins Wasser, und
ganz im Gegensatz zum wirklichen Leben kann ich nicht schwimmen. Was für ein
Scheißtraum, in dem man noch nicht einmal über die Fähigkeiten verfügt, die man
im real life hat, das schon beschissen genug ist. Ich rudere mit den
Armen, strampele mit den Beinen und werde doch nur von den Fluten davon
getragen, tauche hin und wieder unter und sehe den blauen Himmel über mir nur
durch das kalte, tödliche Wasser und höre die Kinderstimmen nur noch von fern,
und ihr Lachen klingt böse und kalt. Horror! Ist Horror mein Thema, Chucky die
Mörderpuppe, Kinderzombies, Kettensägendramen? Das Wasser meines Traumflusses
ruft mich in die korrekte Illusion zurück.
     
    Ich wache schweißgebadet auf, habe einen Megakater und
beschließe, mir die Sache mit der Therapie doch noch einmal durch den brummenden
Schädel gehen zu lassen. Zumal ich zumindest Bennos Beratung auch ungefragt –
und vor allem unbezahlt – erhalte. Im Café Pathos an der Ecke nämlich. Wenn ich
will, fast jeden Abend. Benno ist zwar kein Therapeut, aber Experte, so aus der
Praxis.

Schwarze Socken
    Wir haben uns entschlossen, Carlos Peixe endlich
beizusetzen, das ist man einen langjährigen Gefährten schließlich schuldig. Ich
trage ihn auf meinem schönsten Silberlöffel an den Ort der ewigen Ruhe, der für
Fische vorgesehen ist. Benno steht mir zur Seite, stört aber die Zeremonie mit
seinem knallbunten Hawaiihemd, das Magnum in den 1980er Jahren als geschmacklos
abgelehnt hätte.
     
    „Findest du, das ist eine angemessene Bekleidung für diesen
Anlass?“ erinnere ich ihn an die traurigen Zusammenhänge.
     
    Benno schaut an sich herunter, zunächst etwas ratlos, dann
grinst er.
     
    „Schwarze Socken!“ sagt er, von sich überzeugt. „Ich trage
zu solchen Anlässen immer schwarze Socken. Das muss genügen. Schließlich
gehörte er nicht zur ganz nahen Verwandtschaft.“
     
    Wie zum Beweis zieht er seine Hosenbeine ein wenig hoch.
     
    „Was ist denn das für ein Argument?“ entgegne ich. „Du
gehörst auch nicht so ganz nahen Verwandtschaft, und meinst du, ich käme
deshalb im Bademantel zu deiner Beerdigung?“
     
    „Willst du meine ehrliche Meinung hören?“ Benno grinst
gemein. „Das wäre mir so was von egal! Und außerdem komme ja sowieso ich zu
deiner Beerdigung, schließlich bist du ein halbes Jahr älter.“
     
    Wir könnten das jetzt endlos in die Länge ziehen, aber mein
Arm mit dem Löffel und dem seelenlosen Körper von Carlos Peixe wird langsam
lahm.
     
    „Willst du noch ein paar Worte sagen?“ gebe ich Benno die
Möglichkeit, ganz persönlichen Abschied zu nehmen.
     
    „Er war ein guter Fisch!“ sagt der mit pietätvoller Stimme.
„Er hat es nie bis zum Fischstäbchen gebracht, war nie der Hecht im
Karpfenteich … äh … aber der letzte seiner Art … in seinem Becken.“
     
    „Das genügt“, beschließe ich und tue, was getan werden muss.
     
    Schweigend sehen wir ihn dahin schwinden, begleitet vom
Rauschen der Wasserspülung.
     
    „Kein rauschender Applaus, aber immerhin“, meint Benno.
„Eine wundervolle Sanitärbestattung. Ob er jetzt wohl …“
     
    Sehe ich da eine Träne in Windows Augenwinkel?
     
    „… ob er jetzt wohl … im Himmel ist?“
     
    Ich kann das nicht verlässlich beantworten, habe aber sofort
das Bild von der Fischhölle im Kopf, ein Fischrestaurant mit riesigen Kübeln
voller siedendem Öl. Sind wir alle nur Fischfilets auf dem Weg, knusprig gebraten
zu werden? Meine alte, längst vergessene Depression will wieder erwachen, der leere
Löffel in meiner Hand wird immer schwerer. Irgendetwas in mir zerbricht.
     
    „Na, wie weit bist du mit deinem Buch?“ befreit mich Benno
aus meinem finsteren Gedanken. „Schlüsselroman oder Familiensaga?“
     
    Ich bin ihm irgendwie dankbar, durch seine Worte aus der
Totenwelt der Serrasalmiden befreit zu werden, aber er ersetzt
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