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Wie ich Rabbinerin wurde

Wie ich Rabbinerin wurde

Titel: Wie ich Rabbinerin wurde
Autoren: Elisa Klapheck
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jüdischen Gebetbuches mit einem einzigartigen, graphischen Buch-Design. An diesem
Sidur Ha’Chidush
(»Gebetbuch der Erneuerung«) arbeiteten alle interessierten Gemeindemitglieder mit. Er diente auch zur Überwindung ihrer ideologischen Differenzen, die mit den verschiedenen liberalen Richtungen zu tun haben. Darüber hinaus aber erkannte er verschiedene, mitunter widerstreitende Motivationen an, sich in die jüdische Tradition zu stellen. Um den hebräischen Gebetstext herum ranken sich gleichberechtigt traditionell-religiöse, aber auch säkulare, kabbalistische, literarische, religionsphilosophische und politische Kommentare sowie historische Erklärungen zur Entstehung und Noten für die Lieder. Jeder Zugang zum Gebet wurde damit gutgeheißen. In der überregionalen jüdischen Zeitung der Niederlande – dem
NIW (Nieuw Israelitisch Weekblad)
wurde der
Sidur
ausführlich besprochen, mit dem Effekt, dass er binnen weniger Wochen ausverkauft war und eine zweite Auflage erforderlich wurde.
    Aber auch in Frankfurt bekam ich die Möglichkeit einer neuen Herangehensweise an die religiöse Praxis. Im Jahre 2006 feierte der
Egalitäre Minjan
seine
Bat Mizwa
und im Jahr darauf seine
Bar Mizwa
– also seine »religiöse Mündigkeit«, wie sie imJudentum von den Mädchen und Jungen gefeiert wird, nur mit dem Unterschied, dass es sich hier um eine Institution handelte. Die Mitglieder entschieden, dass im ersten Jahr die Frauen für die Ausgestaltung des Festes verantwortlich sind, im zweiten Jahr die Männer, und dass sich bei der Ausgestaltung alle persönlichen und geistigen Bezüge der Mitglieder zur jüdischen Tradition artikulieren sollten. Auf diese Weise entstanden zwei kreative, groß angelegte Gottesdienstfeiern, bei denen auch führende Repräsentanten des jüdischen Lebens in Frankfurt anwesend waren. Der
Minjan
zeigte sich dabei in all seinen Facetten.
    Auf seine selbsterklärte Mündigkeit reagierte die jüdische Gemeinde mit einem weit über Frankfurt hinaus sichtbaren Zeichen der Anerkennung. Nach Jahren, in denen der
Minjan
seine Schabbatgottesdienste nur im Seniorenklub und anderen unbefriedigenden Räumlichkeiten der Gemeinde feiern konnte, erhielt er endlich eine eigene Synagoge. Zur Verfügung wurde der einstige Trausaal gestellt – ein wunderschöner, in Türkis- und Goldtönen gehaltener Synagogenraum in dem großen Gebäude, in dem sich auch die orthodoxe Westendsynagoge befindet. In diesem Gebäude hält der
Egalitäre Minjan
der Frankfurter Jüdischen Gemeinde seitdem seine liberalen Gottesdienste – parallel zu den gleichzeitig stattfindenden orthodoxen Gottesdiensten im zentralen Saal. In dieser Synagoge fand auch im September 2009 meine eigene, offizielle Amtseinführung als Rabbinerin statt – wieder in Anwesenheit vieler Repräsentanten des jüdischen Lebens in Frankfurt, nicht zuletzt des heutigen Zentralratspräsidenten Dieter Graumann.
    Unter der Doppelbelastung –
Beit Ha’Chidush
in Amsterdam und
Egalitärer Minjan
in Frankfurt – hatte ich mich entschieden, ganz nach Frankfurt zu ziehen. Es war keine leichte Entscheidung. Bis heute bin ich emotional mit
Beit Ha’Chidush
verbunden. Die Last zweier Gemeinden war jedoch nicht der einzige Grund. Es schwang in der Entscheidung noch ein Weiteres mit. Es war ein Leitmotiv meines Lebens, das mich schon in meinen Studentenjahren zur Rückkehr bewogen hatte:Vielleicht ging es nicht einmal nur um mich, vielleicht tat ich damit etwas im Namen meiner Familie, meiner Vorfahren –
heimkehren
. Vor 25   Jahren hatte ich es mitten in meinem Studium in Nimwegen schon einmal getan. Jetzt tat ich es wieder.
Heimkehren nach Deutschland.
     
    Als ich im Jahre 2009 ganz nach Frankfurt zog, war meine Anerkennung längst kein Thema mehr. Mich umtrieb inzwischen eine ganz andere Frage. Nicht meine Anerkennung als Rabbinerin, sondern die der Religion insgesamt. Wir leben in einer Zeit, in der sich die Mehrheit der Juden nicht mehr als »religiös« bezeichnen mag, ja sogar der offiziellen Religion, vor allem dem Rabbinat gegenüber, den Rücken gekehrt hat. Dies spiegelt nur eine größere Entwicklung wider, die sich derzeit in allen westlichen Gesellschaften vollzieht. Immer mehr Menschen berufen sich auf keine religiöse Identität mehr.
    In meinen Kreisen bezeichnen sich viele Juden als »säkular«. Sie fühlen sich nach wie vor »jüdisch« und sind zumeist auch noch der jüdischen Tradition verbunden – aber eben nicht in einem »religiösen«
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