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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell
Autoren: Maria Barbal
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Bedeutung. Die Kinder wachsen heran, und Conxa wird mehr und mehr von dem Gefühl beherrscht, nicht mehr gebraucht zu werden. Die Töchter heiraten, die ersten Enkelkinder kommen zur Welt, und der Sohn gibt den Hof auf, um mit der Schwiegertochter eine Portiersloge in Barcelona zu übernehmen. Conxa fügt sich ohne aufzubegehren und verläßt das Stückchen Erde, auf dem sie ihr Leben verbracht hat, um in einem Haus mit sieben Stockwerken zu leben, in einem Haus, das bis in den Himmel ragt, in einen fernen Himmel mit schreckhaften Sternen, und in einer Stadt, die ein kleines Brot ist, das jeden Tag aufgegessen wird, und Milch aus einer Flasche, ganz weiß, ohne Rahm, und ganz dünn im Geschmack. Für Conxa ist Barcelona aber auch etwas sehr Schönes. Es ist, wie sie sagt, die letzte Stufe vor dem Friedhof.
    Mit großer Würde und ohne jegliche Larmoyanz schildert uns Conxa dieses Leben, seine Höhepunkte, entscheidenden Wendungen aber auch ganz einfache Alltagsszenen. Keine groß angelegten Erzählstränge sind es, die den Rhythmus und die Struktur des Romans bestimmen, sondern exemplarische Momente, so wie eben die Erinnerung sie zu vergegenwärtigen vermag. Diese bewußt inszenierte Dynamik der Erinnerung zeigt sich auch innerhalb der einzelnen Kapitel, in den meist kurzen Sequenzen, die den Erinnerungskern in Bilder von geradezu emblematischer Stringenz verdichten. So etwa, als Conxa ihren Mann evoziert, wie er am Tag, als die Republik ausgerufen wird, in der Schule auf einen Tisch springt, um selbstbewußt das Konterfei des flüchtigen Königs abzuhängen. All das, was ihr Angst macht, aber auch all das, wofür Jaume steht, seine Überzeugungen und seine Leidenschaft, sind in dieser Momentaufnahme eingefangen. Diese exemplarischen Sequenzen aber reihen sich in einer streng linear verlaufenden Chronologie aneinander, wobei die drei Teile des Romans den drei Verlusten entsprechen, die Conxas Leben unwiderruflich geprägt haben: Zuerst verliert sie die Eltern und Geschwister, denn die Wege sind weit und jeder wird nun einmal da gebraucht, wo er ist. Dann verliert sie Jaume, ein Verlust, der sie ein weiteres Mal seelisch verwaisen läßt, und schließlich ihre Heimat, das Dorf, die Berge, als sie mit Sohn und Schwiegertochter nach Barcelona ziehen muß. Maria Barbal gelingt es, Conxas Lebensbericht eine unverstellte Authentizität zu verleihen, die entscheidend zur Stimmigkeit des Romans beiträgt. Nuancierter als es ein allwissender, aber außenstehender Erzähler jemals vermocht hätte, ermöglichen uns Conxas Erinnerungen eine Innenansicht jener heute versunkenen ruralen Welt als einer ganz eigenen Kultur, mit ganz eigenen Verhaltensnormen und Werten. So mögen Conxas Anpassungswille, ja ihr Hang zur Unterordnung wie auch ihr weibliches Rollenverständnis manchen Leser vielleicht etwas irritieren, nichtsdestotrotz ist sie als Erzählerin und als handelnde Figur psychologisch nicht nur in sich selbst stimmig, sondern auch innerhalb ihrer eigenen Lebenswelt. Erst als diese Welt versinkt, erst aus der rückschauenden Distanz in der Einsamkeit Barcelonas erwächst Conxas Einsicht in die Zwänge und Strukturen, die ihr Leben wie eine Naturbestimmung geprägt haben. Als Erzählerin ist sie wie ihre Erinnerungen: zuweilen zärtlich, zuweilen argwöhnisch, zuweilen spröde, zuweilen elegisch. Conxa verklärt keineswegs ihre verlorene Heimat, mit großer Eindringlichkeit aber bringt sie ihre Sehnsucht danach zum Ausdruck. Vielleicht wurde gerade deshalb immer wieder im Zusammenhang mit Pedra de tartera von einem poetischem Realismus gesprochen, doch trifft dies nur insofern zu, als daß der Roman keinen finster-dumpfen Naturalismus und keine rückwärtsgewandte Gartenlaubenidylle entstehen läßt. Maria Barbal vermag es vielmehr, das Fremde und zugleich Vertraute von Conxas Lebenswelt nachvollziehbar zu machen: Fremd sind uns zweifelsohne die sozialen und mentalen Grundlagen dieser Welt geworden, vertraut geblieben sind uns aber sicherlich ihre menschlichen, allzu menschlichen Glücksverheißungen.
    Die entscheidende Wende des Romans stellt der Bürgerkrieg dar, dieser Ausbruch an Gewalt, vor dem Conxa sich seit langem unbewußt fürchtet und der ihren Mann mit sich fortreißt. Jaumes Tod wird in den historischen Kontext jener planmäßig durchgeführten Säuberungsaktionen eingebettet, die stets dem Vormarsch der Franco-Armee folgten und deren erklärtes Ziel es war, die Bevölkerung der eroberten Gebiete zu terrorisieren
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