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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell
Autoren: Maria Barbal
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und sie auf diese Weise für das neue, klerikalfaschistische Spanien gefügig zu machen. Vor allem aber wurde Katalonien zur Rechenschaft gezogen, galt es doch, eine Region zu bestrafen, die sich – ebenso wie das Baskenland – schon durch die Treue zur eigenen Sprache gegen das nationale Einheitsdogma aufgelehnt und gar eine eigene Staatlichkeit angestrebt hatte. Wie in allen zuvor eroberten Gebieten waren es dabei nicht nur bekannte Persönlichkeiten odermaßgebende Politiker der Republik, die in Katalonien Opfer dieser Säuberungen wurden, richtete sich der weiße Terror doch auch hier vorrangig gegen die soziale Basis der Linksparteien: Lehrer, Angestellte, Arbeiter, kleine und landlose Bauern. Darin entlarvte sich zweifelsohne die wahre Natur der von General Franco geführten Rebellion. Es war ein Klassenkrieg, der von einer unheiligen Allianz aus Oligarchie, Kirche und Militär gegen eine Republik geführt wurde, die es gewagt hatte, soziale Reformen anzustreben, Großgrundbesitz zu vergesellschaften und eine konsequent laizistische Verfassung zu beschließen. Vor allem «kleine Leute» waren es, Leute wie Jaume, die verfolgt und ermordet wurden. Ihr bloßes Eintreten für die Republik war häufig Anlaß genug, um sie auf eine jener berüchtigten schwarzen Listen zu setzen, die nicht selten – wie auch im Roman selbst – aufgrund von Denunziationen der Helfershelfer und Profiteure des Putsches aufgestellt wurden. Dabei gestand man den Abertausenden von Ermordeten oftmals noch nicht einmal die Würde eines eigenen Grabes zu, und selbst der Ort, an dem man sie verscharrt hatte, wurde meist geheimgehalten. Von ihnen blieb nur ihre Abwesenheit, eine Leere in ihren Familien, stechend und tief, nur ein verordnetes, bleiernes Schweigen. Jaumes einziges Grab sind die Erinnerungen Conxas. Hier lebt er weiter, hier kann sie sich den Klang seiner Stimme vergegenwärtigen, das Lächeln auf seinen Lippen. Für den katalanischen und spanischen Leser ist Jaume aber auch gleichsam das Symbol jener jungen Republik, die verraten und gemeuchelt wurde, und so verkörpert er – voller Illusionen, altruistisch und solidarisch – das Beste, was die spanische Republik hervorgebracht hat und wofür sie noch heute im historischen Gedächtnis vieler Spanier steht. Und so steht auch die Trauer, die Conxa bis zuletzt unbewältigt in sich trägt, stellvertretend für die Trauer um die große Hoffnung, die diese Republik einst bedeutet hat. Conxa, das ist Katalonien, das ist Spanien, und Jaume, das ist die Republik, die Spanien von all seinen alten Dämonen befreien wollte.
    Als Maria Barbal 1984 mit diesem ihren ersten Roman für den Joaquim Ruyra-Preis nominiert wurde, war sie sich durchaus bewußt, daß sie sich mit Pedra de tartera gegen den literarischen Zeitgeist positionierte. Was die Kritiker und Verlage damals zu bevorzugen schienen, war eine Literatur, die sich selbst in ihrer Gemachtheit thematisierte und die sich vor allem als Spiel mit Genres und Erzähltraditionen verstand. Nicht zuletzt gehörte es zum ästhetisch guten Ton, Stadtliteratur zu schreiben, dazu beizutragen, Barcelona als pulsierender Metropole ein postmodernes literarisches Denkmal zu setzen. Politisch nicht ganz opportun war es zudem, einen Roman zu verfassen, der die gesellschaftlich wie juristisch noch unbewältigte Vergangenheit des faschistischen Terrors während des Bürgerkriegs und unmittelbar danach zum Thema hatte. Die neue Demokratie, die nach dem Tod des Diktators (1975) entstanden war, sollte auf Konsens, auf Wiederversöhnung aller politischen und gesellschaftlichen Lager aufgebaut werden; die Wunden der Vergangenheit, so meinte man, dürften nicht wieder aufgerissen werden. Und so wurde aus diesem Versöhnungspakt, der die Demokratie ermöglichte, vor allem ein Pakt des Schweigens, ja des Verdrängens. Wie konnte also ein Roman, der in so offenkundiger Weise ohne Rücksicht auf Moden und politische Konjunkturen geschrieben war, die Juroren überzeugen? Vielleicht war es die Erkenntnis, daß das katalanische Lesepublikum sehr wohl bereit und willens war, sich dem politisch verordneten Verdrängen zu entziehen, auch wenn dies zuerst einmal nur im literarischen Feld geschehen konnte. Pedra de tartera erlaubt, ja verlangt geradezu eine politische Lektüre, doch läßt der Roman sich darin keineswegs sinnhaft erschöpfen. Dies gilt nicht zuletzt auch für die Thematik der Landflucht, die den soziohistorischen Kontext des letzten Teils bildet, denn
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