Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell
Autoren: Maria Barbal
Vom Netzwerk:
sagte, daß er im Augenblick das Haus seines Vaters herrichte und damit noch eine Weile beschäftigt sei. Vielleicht bis Weihnachten.

D ie Tante zeigte mir eins von ihren Kleidern, wenn ich es mir ändern wolle, müsse ich mir allerdings selbst zu helfen wissen. Flicken könne sie ja, doch von feineren Näharbeiten verstehe sie nichts. Ich nahm all meinen Mut zusammen und machte mich auf zu den Esquirols, denn es hieß, Toneta habe goldene Finger. Sie brauchte mich bloß ein wenig anzuleiten, und schon traute ich mir die Arbeit selbst zu. Als Gegenleistung vereinbarten wir, daß ich ihnen beim Schlachten helfen würde. Jeden Lichtstrahl nutzte ich aus, und nachdem das Kleid erst einmal enger gemacht war, fiel es mir gar nicht mehr so schwer, es auch ein wenig zu verlängern. Und damit man nichts davon bemerkte, nahm ich die ausgefransten Fäden der übriggebliebenen Stoffstreifen und säumte das Kleid mit einem Festonstich. Dunkelgrün war es und im Rücken bis zum Hals geknöpft, mit einem Gürtel und einem weiten Rock, der mir bis an die Knöchel reichte.
    Endlich war er da, der langersehnte Tanzabend. Und ich zitterte, als ich unsere Treppe hinunterging, obwohl doch Delina bei mir war. Nachdem man die Musik draußen schon eine ganze Weile gehört hatte, betraten wir das Schulzimmer, in dem alle Tische an einer Wand aufgestapelt waren. Beim Hineingehen wunderte ich mich über die Blicke der Leute. Die Augustís waren schon da, auch die Sebastiàs …, so als ob das Fest unter ihrem Vorsitz stattfinden würde. Er war nicht da, und ich schaffte es nicht, nein zu sagen, und schon tanzte ich mit Martí von den Sebastiàs quer durch den Raum. Plump wie eine Kröte war er. Ich sah seine schweißnassen Schläfen und seine glänzenden Augen, sie waren mir unheimlich. Undseine Hand, die mich jedes Mal enger an seinen Körper preßte. Kaum atmen konnte ich, so als würde man mir die Luft abschnüren. Und dabei tat ich alles, um mir diesen Mann vom Leib zu halten. Wie ein Faß kam er mir in diesem Augenblick vor, und gleich würde er mich zu Boden reißen und mich mit seinem unglaublichen Gewicht niederwalzen.
    Mir war klar, daß es nicht leicht sein würde, meinen Tanzpartner los zu werden. Doch Jaume, kaum war er da, regelte das Ganze einfach mit einem schallenden Lachen, so als ob wir uns schon unser ganzes Leben lang kennen würden: Jetzt sind mal die aus Sarri an der Reihe, mit den Mädchen aus Pallarès zu tanzen! Martí war völlig verdutzt, und ihm blieb keine Zeit, etwas zu entgegnen, denn Jaume und ich wirbelten bereits durch den Saal. Wie angewurzelt stand er da, sein Gesicht aber verzog sich zu einer solch säuerlichen Miene, daß ich mich nicht traute, zu ihm hinzuschauen.
    Wir tanzten in einem fort. Ums Haus pfiff der Wind, unglaublich kalt mußte es draußen sein, mir aber lief der Schweiß den Nacken hinunter. Als ich sah, daß der alte Tonet sein Akkordeon zur Seite legte, blieb ich ganz außer Atem stehen. Es war tiefe Nacht, und in meinen Augen und in meinem Mund spürte ich so etwas wie ein Wunder. Erst als mich draußen die eisige Kälte packte, wachte ich auf, und da sagte er einfach, wenn ich nichts dagegen hätte, solle ich doch zu Hause Bescheid geben, daß er um meine Hand anhalten will. Am Sonntagabend würde er vorbeikommen, um sich die Antwort zu holen.
    Von der Schule bis zu unserer Haustür waren es genau sechs Schritte. Beide Häuser standen Wand an Wand und bildeten eine Ecke des Dorfplatzes. Ich stand vor der Treppe, die ich erst vor wenigen Stunden hinuntergegangen war, und ich erkannte mich nicht wieder. Mit aller Macht versuchte ich, daran zu denken, daß ich die Conxa war, die nach Pallarès gekommen war, um bei Onkel und Tante zu leben. Aber das sagte mir nichts. Ich konnte jetzt nur noch Jaumes Conxa sein. Das war ein unglaubliches Glücksgefühl, aber ich sprangnicht auf, und ich tanzte nicht herum. Ganz still war ich. Und trotz der eisigen Kälte des Geländers, die mich nach oben trieb, blieb ich wie festgenagelt auf der Steinbank sitzen, dort, wo wir uns verabschiedet hatten.
    Ich wollte noch einmal in Gedanken diese letzten Augenblicke erleben, diese letzte halbe Stunde vielleicht, mich einfach daran erinnern. Und ihn wieder an meiner Seite spüren. Noch immer waren die lärmenden Menschen zu hören, und unwillkürlich drehte ich mich um. Jaume lächelte mir vom anderen Ende des Dorfplatzes aus zu und hob den Arm, um mir Lebwohl zu sagen. Da lief ich so schnell ich konnte nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher