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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell
Autoren: Maria Barbal
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würden mich mit anderen Augen ansehen und mich hinter ihren Fensterläden beobachten. Mehr als jemals zuvor fühlte ich mich wie bei einer Lüge ertappt, so als hätte ich einen großen Fehler begangen, den mir niemand verzeihen würde. Heute, mit dem Abstand so vieler Jahre, glaube ich, daß ich mit diesem Gefühl gar nicht falsch lag, auch wenn ich meine Angst und meine Schüchternheit schon bald überwinden sollte, war doch mein Leben dabei, sich wieder grundlegend zu ändern. In jenem Winter lernte ich Jaume kennen.

D ie Zeit verging, und niemand sprach von daheim. Von meinen Leuten. Die Mutter und Maria hatte ich in diesen fünf Jahren nur ein einziges Mal gesehen, als sie in meinem ersten Sommer in Pallarès zum Patronatsfest gekommen waren. Und dem Vater und Josep war ich einmal auf dem Markt in Montsent begegnet. Dort erfuhr ich auch, daß mein Bruder Joan lange vor seiner Prieserweihe vom Seminar abgegangen war. Die Wege waren weit, und jeder wurde nun einmal da gebraucht, wo er war.
    Onkel und Tante verloren kein Wort darüber, daß ich irgendwann wieder zurück nach Hause sollte, und um nichts in der Welt hätte ich mich getraut, von selbst damit anzufangen. Fühlte ich mich wohl bei ihnen? Was sollte ich darauf sagen? Ich lebte immer ein wenig in der Angst, man könnte mir irgendwelche Vorhaltungen machen. Vielleicht wegen der Armut bei uns daheim … Aber ich hatte mich an ihre Art gewöhnt. Und es war schon so, daß ich mir von Mal zu Mal weniger vorstellen konnte, aus Pallarès fortzugehen, um wieder in Ermita zu leben.
    Den Leuten im Dorf erging es wohl ähnlich. Warum sollte man sich auch nicht langsam an den Gedanken gewöhnen, daß ich eigentlich keine schlechte Partie war, denn die Wiesen, das Haus, der Garten und die paar Tiere könnten ja mit der Zeit mir zufallen?
    Martí, der Zweitgeborene der Sebastiàs, das war nach den Augustís die mächtigste Familie im Dorf, begann um mich zu werben. Ich wußte nichts vom Leben, doch die Tante sah es nicht ungern. Bind dir die Schürze besser, Mädchen, die jungen Burschen achten auf so was! Ich war verlegen und machte den Mund nicht auf, zumal auch Martí nicht gerade gesprächig war. Er schaute mich immer nur an, mit großen Augen, die mir so viel sagen wollten, wie es schien, doch lief er mir eher hinterher, als daß er meine Gesellschaft suchte. Von seinen Leuten hieß es, sie seien ziemliche Grobiane, von dem Schlag, der ständig herumschrie und auch schon mal handgreiflich wurde, wenn es nötig war. Ich empfand, wie soll ich es sagen, mehr Furcht als Freude. Mich hatte ja nie jemand gefragt, was ich eigentlich wollte, und so wußte ich gar nicht, wie man nein sagt. Doch ich tat alles, das schon, um ihm nicht zu begegnen, und ging deshalb sogar zu anderen Zeiten als sonst zum Brunnen oder in den Garten.
    Ich hatte mich mit Delina von den Arnaus angefreundet, denn oft brachten wir gemeinsam das Vieh auf die Weiden von Solau; ihre Eltern hatten eine Wiese gleich neben unserer. Während die Tiere dort grasten, erzählte Delina mir so einiges. Man kann sagen, daß ich durch sie das ganze Dorf kennenlernte: Familie für Familie, jeden einzelnen. Es war unglaublich, was sie alles wußte, wo sie doch in die meisten Häuser noch nie einen Fuß gesetzt hatte! Sie war fröhlich und unerschrocken, ein Mädchen, das kein Blatt vor den Mund nahm, und das war mein Glück, denn oft bewahrte mich ihre Gesellschaft vor der Gegenwart meines Verehrers. Jag ihn doch zum Teufel, sagte sie zu mir, und das so energisch, daß ich nicht anders konnte, als laut loszulachen. Aber was sag’ ich ihm nur? Na, was wohl, du sagst ihm einfach, du bist jemandem aus deinem Dorf versprochen. Doch solche Lügen kamen mir nur schwer über die Lippen, auch wenn ich schon daran dachte, ihm so etwas zu erzählen, wenn er mir einmal zu lästig werden sollte.
    Aber das war gar nicht nötig. An jenem Montag ging ich mit dem Onkel hinunter zum Markt nach Montsent. Im Haushalt fehlte etwas, und die Tante hatte mich danach geschickt. Als es Zeit für den Heimweg war, sagte der Onkel, wir würden mit dem Karren der Ferrers hochfahren, der Familie des Schmieds aus Sarri. Was für ein Glück, daß uns dieser Fußmarsch erspart blieb! Ich stieg auf das Fuhrwerk, und plötzlich schlug mein Herz wie wild, denn ein strahlendes Lächeln wandte sich mir zu und eine Stimme, die sagte: Na, was machen die aus Pallarès? Gut schaute er aus, der Mann, der uns mitnehmen wollte, vielleicht der Sohn des
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