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Wie ein Stein im Geroell

Wie ein Stein im Geroell

Titel: Wie ein Stein im Geroell
Autoren: Maria Barbal
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erdigen Wegen, waren erfüllt vom Singen der Sicheln und Sensen, die ohne Erbarmen die schlanken Halme niedermähten. Die Erde quoll über von all der Fülle, die ein ganzes Jahr lang reichen mußte. Nur das Glucksen des Wasserkrugs oder Weinschlauchs ließ die Bauern für einen Moment zum Himmel hinaufblicken.
    Erschöpft vom Mähen lief ich immer wieder von der Wiese nach Hause, um Elvira zu stillen, und meine Brüste waren so prall, daß mir die Milch schon auslief und meine Bluse durchnäßte. Ich war am Ende meiner Kraft und ständig in Sorge – sie wird bestimmt weinen, dachte ich –, obwohl ich doch wußte, daß die Tante ihr in Milch eingeweichte Brotkrummen geben würde, wenn ich nicht rechtzeitig da sein sollte. Aber die Kleine verlangte nach ihrer Mutter, und alle sagten, sie schreie gar nicht so sehr aus Hunger, sondern weil ich ihr fehle. Sie hatte so wenig von mir in diesem ersten Sommer ihres Lebens. Die Arbeit draußen nahm einfach kein Ende! Manchmal gab mir Jaume ein Zeichen, nach Hause zu gehen. Dann machte ich mich auf den Weg, aber ich hatte immer Angst, daß der Onkel es merken und mir grollen würde. Und so lief ich wie gehetzt hin und her, von Elvira zu den Wiesen und von den Wiesen zu Elvira. Wenn ich heute daran denke, wird mir klar, was das für eine Plackerei war. Doch Jaume an meiner Seite zu wissen, das gab mir Kraft und trieb mich hin zum Allerwichtigsten: unserer Tochter. Er sagte: Zuerst kommen die Menschen und dann alles andere. Aber es fiel mir nicht leicht, danach zu handeln, denn man hatte es mir ja genau andersherum beigebracht. Erst wenn die Felder und das Vieh versorgt waren, kamen die Menschen an die Reihe.
    Jaume lehnte sich gegen eingefahrene Gewohnheiten auf, doch war er sehr darauf bedacht, nur ja keinen Streit mit Onkel und Tante heraufzubeschwören. Schließlich hatten wir es vor unserer Hochzeit schon schwer genug gehabt. Beseelt von dem Wunsch nach Ruhe und Frieden, begegneten wir ihnen mit besonders viel Respekt, auch wenn das bedeutete, daß wir uns manches Mal auf die Zunge beißen mußten, um ja nicht zu widersprechen. Ich war Jaume für seine Umsicht dankbar. Und er, er lachte bald über dieses, bald über jenes, und er sagte, er fühle sich so glücklich wie noch nie, glücklich darüber, Vater zu sein, jung und verliebt.
    Elvira war kurz vor unserem ersten Hochzeitstag zur Welt gekommen. Am 18. November war das, und Jaume arbeitete gerade unten in Montsent. Sie wurde an einem Dienstag geboren, doch er erfuhr erst davon, als Anton von den Perets am Freitag etwas in Montsent zu erledigen hatte. Jaume ließ alles stehen und liegen und stieg trotz der schneevereisten Wege bei Einbruch der Dunkelheit hoch zu uns. Vor Sonntag erwartete ihn niemand.
    Was für ein Glücksgefühl, als er mitten in der Nacht plötzlich vor mir stand und sein vor Kälte gerötetes Gesicht aus dem Schal wickelte. Er umarmte mich ganz fest, und dann schaute er sich die Kleine an, die in ihrer Wiege schlief, ganz nah ging er an sie heran. Als er wieder zu mir kam, sagte er nichts, nahm nur meine Hände in seine, und bald schon verschmolzen Hitze und Kälte miteinander. Wir brachten keinWort heraus, und erst nach einer ganzen Weile erzählte ich ihm, noch ziemlich aufgewühlt und in einem völligen Durcheinander, von der Geburt. Ihm war seltsam zumute bei der Vorstellung, drei Tage lang nichts davon gewußt zu haben, daß er Vater einer Tochter war. Irgendwie kam ihm das wie ein Betrug vor. Dann küßte er mich und machte sich wieder auf den Weg, aber nicht, ohne mir versprochen zu haben, zuvor noch wenigstens eine Tasse Milch zu trinken; auch wenn er nicht zuließ, daß ich aufstand, um sie ihm heiß zu machen. Keinen Augenblick lang hatte er sich ausgeruht, und schon stieg er wieder hinab nach Montsent, um am frühen Morgen rechtzeitig auf der Arbeit zu sein.
    Die Tante tat ganz ungerührt, als ich ihr am nächsten Tag davon erzählte, doch ihre Augen verrieten sie. Ich glaube, daß dies der Moment war, in dem Jaume sie für sich einzunehmen begann, auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ.
    Die Tage flogen nur so dahin. Elvira war bereits ein Jahr alt, und ich hatte noch gar nicht wirklich begriffen, was es hieß, Mutter zu sein, als man mir an meinem Bauch ansah, daß ich wieder ein Kind unter dem Herzen trug. Vielleicht würde es ja dieses Mal ein Junge. Ich weiß nicht, weshalb sich alle darum die meisten Gedanken machten. Ein Erbe. Und ich wußte nicht, ob ich einen Jungen wollte,
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