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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten
Autoren: Kristin Feireiss
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Annemi es selbst zu Lebzeiten immer getan hat. Im Sarg trägt meine Pflegemutter ein dunkelblaues Kleid mit weißem Kragen und passenden dunkelblauen Schuhen. Die golden schimmernden Haare umrahmen das schmale, blasse Gesicht. Ihre Lippen leuchten in dem gleichen kräftigen Rot, das sie immer benutzt hat, auch die Augenlider sind so wie immer hellblau geschminkt. Meine Pflegemutter hätte sich gefallen.
    Als das Hausmädchen Klärchen, inzwischen hochbetagt, mit weißen, störrischen Haaren, aber ungebrochener Treue zu ihrer Herrschaft, Maria beim Ankleiden hilft und sieht, dass die Chefin mit Schuhen aufgebahrt ist, ist sie entsetzt. Nur nichtverheiratete Wöchnerinnen, die bei der Entbindung sterben, dürfen im Sarg Schuhe tragen. Das hat Klärchen schon als Kind gelernt. »Die unehelichen Wöchnerinnen müssen gutes Laufwerk haben«, meint sie, »weil der Weg der Sünderinnen in den Himmel voller Dornen ist.« Ihre Chefin aber ist in ihren Augen eine Heilige. Klärchen fragt Maria auch, ob sie drei Pfennige unter die Zunge der Toten gelegt habe, um den Fährmann zu bezahlen. Maria hat es nicht getan, stattdessen gibt sie der Toten unbemerkt von der Familie den kleinen Steiff-Teddy, den Annemi in den letzten Jahren ihres Lebens immer bei sich hat, in die Hand, damit sie auf ihrer letzten Reise nicht allein ist.
    *
    Wenige Wochen nach der Beerdigung meiner Pflegemutter kommen bei einem Abendessen im Haus in Dreieichenhain, in dem nun Necko allein von der Haushälterin Maria versorgt wird, noch einmal die silbernen Platzteller mit dem Kordelrand und den eingravierten Turniersiegen der Familie zu Ehren. Diesmal nicht, um als Untersatz für die Essteller zu dienen, sondern um die Schmuckstücke aufzunehmen, die an diesem Abend unter den Neckermann-Kindern und den dazugehörigen Schwägerinnen aufgeteilt werden. Aus diesem Anlass reist der bekannte Juwelier Schnauffer zusammen mit seiner Frau eigens aus Frankfurt an. Seit langem hat er akribisch Buch über den beachtlichen Schmuck seiner Kundin Annemi Neckermann geführt.
    Weil der vor Jahren angeschaffte Tresor in Schrankformat nicht in Annemis Schlafzimmer aufgestellt werden kann, da dies aus statischen Gründen nicht möglich ist, kommt er schließlich in den Keller neben Marias Zimmer, wo er, hätte man ihn im ersten Stock aufgestellt, aufgrund seines enormen Gewichts ohnedies durch den Fußboden hindurch gelandet wäre. Juwelier Schnauffer holt, nicht ohne körperlichen Einsatz, Schubfach für Schubfach aus dem Tresor nach oben, um sie in der Mitte des Esstisches zu platzieren, an dem die Anwesenden gerade gespeist haben. Es ist ein kostbarer Nachtisch. Jedes der Kinder darf unter den Augen Neckos und des Juwelierehepaares reihum nach einem Schmuckstück greifen und es auf den silbernen Platzteller vor sich legen. Jutta flüstert ihrem Mann Peter ins Ohr, was sie gerne haben möchte, Evi, die einzige leibliche Tochter, passt auf, dass sie nicht zu kurz kommt, nur Johannes bleibt gelassen. Er ist noch nie zu kurz gekommen, und außerdem kennt er sich mit den schönen und kostbaren Dingen des Lebens am besten aus.
    Abseits vom Hauptschauplatz gibt Necko seiner Haushälterin Maria für ihre aufopfernden Dienste eine dreireihige Perlenkette mit Brillantverschluss. Es ist sicherlich nicht das kostbarste, wohl aber das persönlichste Stück der Sammlung. Die Perlenkette sei, so erzählt er Maria, das erste Geschenk gewesen, das er seiner Frau gemacht habe. Er hat die Kette damals auf Raten abgezahlt. Der Brillantverschluss, ursprünglich Annemis Verlobungsring, ist erst später eingearbeitet worden. Maria trägt dieses Schmuckstück nicht oft, denn es gibt nur selten eine passende Gelegenheit, aber wenn sie es tut, dann voller Stolz.
    Ich bekomme einen Ring mit Brillanten und Perlen aus dem Erbe meiner Pflegemutter. Ich habe ihn nie an ihrer zierlichen Hand gesehen. Er ist groß und unförmig. Noch am selben Tag, an dem ich den Ring in einer dunkelroten Samtschachtel per Einschreiben erhalte und ihn in den Tiefen meiner Handtasche verstaue, entschwindet er mir auch schon wieder. Handtasche und Ring werden gestohlen. Einen Tag später wird mir die Tasche von der Polizei zurückgebracht. Meine Papiere sind noch darin, nur der Ring ist weg. Das ist mein Geschenk an die Götter, denke ich, man kann nicht alles haben. Die Gemme aber, mit der mich meine Pflegemutter vor Jahrzehnten überrascht hat, eine antike Brosche aus Gold und Elfenbein, in die ein Gesicht eingraviert ist,
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