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Wie du Ihr

Wie du Ihr

Titel: Wie du Ihr
Autoren: Bernard Beckett
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sah ein bisschen fern, um mir die Zeit zu vertreiben, aber die Sendungen gingen mir auf die Nerven. Gegen fünf klingelte es wieder an der Tür. Mum war zum Supermarkt gefahren und Duncan bei einem Freund. Zuerst wollte ich das Klingeln einfach so lange ignorieren, bis der- oder diejenige aufgab und wieder verschwand. Aber irgendwo tief in mir drin ahnte ich, wer es war, und ich brachte es nicht übers Herz, sie einfach wieder wegzuschicken.
    Sie waren beide Mitte vierzig. Sie schienen sich unbehaglich zu fühlen und wirkten förmlich und ich konnte beim besten Willen nichts von ihrer Tochter in ihren Gesichtern erkennen. Ich führte sie ins Wohnzimmer. Sie entschuldigten sich bei mir für die Störung und meinten es auch so. Sie sagten mir, wie froh sie seien, dass mir nichts zugestoßen sei, und auch das meinten sie wirklich so. Mr Jenkins hatte ein langes, schmales, ausdrucksvolles Gesicht und tiefe Falten zwischen Mund und Nase. Er war sehr groß, selbst wenn er saß. Er saß kerzengerade auf der Stuhlkante, hörte mir aufmerksam zu und sah mir fest in die Augen. Mrs Jenkins war kleiner als er und interessierte sich mehr für unsere Wohnzimmereinrichtung. In ihrem Gesicht spiegelte sich der Schmerz und die Verwirrung, die Mr Jenkins wie durch ein Wunder verbarg.
    »Ich weiß, das ist bestimmt nicht leicht für dich, Marko«, sagte Mr Jenkins. Er hatte mich von Anfang an beim Namen genannt. »Aber die anderen haben uns erzählt, dass du dabei warst, als Carol starb. Weißt du, wir müssen das einfach wissen. Bitte erzähl uns, wie es passiert ist.«
    Eine kurze Geschichte, die ich schon mehrmals erzählt hatte. Beim vierten Mal müsste man eigentlich einen gewissen Abstand dazu entwickelt haben. Man sollte nicht mehr mitten im Geschehen sein, das man beschrieb. Aber ich war es trotzdem. Die Geschichte, die ich ihnen erzählte, war traurig, schmerzhaft und sinnlos. Und während ich sie ihnen erzählte, sah ich, wie sie versuchten zu begreifen. Als ich fertig war, spürte ich eine Träne auf meiner Wange.
    »Das heißt, es war doch eine Art Unfall«, sagte Mr Jenkins, als hätte er das die ganze Zeit vermutet.
    »Aber er hat sie absichtlich geschlagen«, widersprach ich. »Er war sehr wütend.«
    »Aber«, fuhr er fort und hielt kurz inne, als rückte er im Geiste ein Bild zurecht, »du hast doch gesagt, dass ihr Kopf gegen den Baum gestoßen ist. Und dann ist sie hingefallen und sie sagten, dass sie tot ist. Dann war es also der Schlag gegen den Baumstamm. Bitte entschuldige, dass wir so genau nachfragen, aber ohne Leiche gibt es keine andere Möglichkeit, das zu überprüfen, und wir müssen es unbedingt wissen.«
    »Ja«, sagte ich. »Es war der Baumstamm, aber ...«
    »Also ein Unfall. In gewisser Weise.«
    »Nein, Malcolm. Lass ihn ausreden. Du hast ›aber‹ gesagt. Aber was?«
    »Ich wollte nur sagen, dass es kein Unfall war. Er hat sie geschlagen und dann war sie tot. Er hat sie absichtlich geschlagen.«
    »Genau das verstehe ich nicht«, sagte sie. »Warum hat er das getan? Warum war er so wütend? Was wollte er von ihr? Meinst du, es war eine Art Missverständnis? Warum haben sie Carol nicht einfach gehen lassen? Das verstehe ich einfach nicht.«
    »Bitte nicht, Sandra. Wir haben doch schon mit der Polizei darüber geredet. Wir können nicht wissen, was in ihren Köpfen vorgegangen ist. Irgendetwas ist einfach schiefgelaufen. Es hat keinen Sinn, darüber zu spekulieren. Das hilft uns nicht weiter. Und es ist nicht fair Marko gegenüber. Er weiß es auch nicht.«
    Aber ich wusste es. Ich wusste mehr, als ich sagte. Ich hörte ihre Stimmen und wie sie redeten. Ich sah seine Hand auf ihrer Brust. Und ich sah mich, wie ich einfach nur zusah, keinen Mucks von mir gab und ihr nicht half. Ich weiß, dass der Arzt ein Mörder ist. Genau wie ich auch weiß, wo er ist und wie dreckig es ihm jetzt geht. Ich wusste so viele Dinge, die ich nicht erzählen konnte, während ich ihnen gegenübersaß und genau wusste, dass nichts, was ich ihnen sagen konnte, es jemals besser machen würde.
    »Vielleicht finden sie die Kerle ja«, sagte ich. »Dann wissen wir mehr. Und dann bekommen sie die Strafe, die sie verdient haben.«
    Sie sahen zuerst mich und dann sich an, als hätten sie darüber schon ausführlich gesprochen.
    »Nein«, erklärte Mrs Jenkins kopfschüttelnd. »Das würde uns überhaupt nicht helfen.«
    Sie standen beide auf und Mr Jenkins dankte mir noch einmal. Er gab mir zum Abschied die Hand und Mrs Jenkins
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