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Wie der Vater so der Tod

Wie der Vater so der Tod

Titel: Wie der Vater so der Tod
Autoren: Tracy Bilen
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Und Mom. Und Zach, wo immer er ist.
    Meine Hand schließt sich um die Waffe.
    Als ich sie berühre, sehe ich meinen Bruder. Innerhalb eines Sekundenbruchteils huschen tausend Bilder an meinem inneren Auge vorbei, und nur zwei erkenne ich deutlich: Er lehnt an seinem Cabrio – Unternehmen wir noch die Radtour, Sara? –, und er liegt tot auf dem Boden des Esszimmers.
    Hinter mir ist ein Knurren zu hören. Es ist mein Vater. Er hockt auf Alex’ Körper und will ihn erwürgen. Mit beiden Händen drückt er zu und zwingt das Leben aus ihm heraus, so wie er es mit unserer Familie getan hat.
    »Hör auf!«, rufe ich. »Ich habe die Pistole! Lass ihn los! Er erstickt!« Die Waffe ist kalt und schwer. Meine Hände zittern. Ich schaffe es nicht, unmöglich.
    Dad sieht mich eine Sekunde lang an, löst die Hände aber nicht von Alex’ Hals. Er weiß, dass ich nichts tun werde. Ich habe nie etwas getan.
    Es rauscht mir in den Ohren, so laut, dass ich nichts anderes höre.
    Ich weiß, wie man zielt. Immerhin bin ich die Tochter eines Cops. Dad hat mir das Schießen beigebracht, lange bevor er zum Feind wurde.
    »Hör auf! Ich zähle bis drei! Bitte, zwing mich nicht, auf dich zu schießen!« Tränen strömen mir übers Gesicht.
    Hör auf zu zittern! Deine Hände müssen ruhig sein. Alex stirbt, wenn du’s vermasselst.
    Ich erinnere mich an meinen ersten Sprung in tiefes Wasser. Ich hatte solche Angst, dass ich am ganzen Leib bebte. Und dann nahm Matt meine Hand. Ich brauche dich, Matt. Ich brauche dich wirklich.
    »Eins.« Ich höre den Unterschied in meiner Stimme. Das Zittern hört auf.
    »Zwei. Ich meine es ernst, Dad.« Er muss wissen, dass ich schießen werde. Ich lese es in seinen Augen, als er den Blick auf mich richtet. Für einen Moment erkenne ich den liebevollen Vater, der mir Sam geschenkt hat, aber dann ist da nur noch Kälte.
    »Drei.«
    Alex versucht, die Finger meines Vaters vom Hals zu lösen. Doch statt den Griff zu lockern, drückt Dad noch fester zu. Alex’ Hände erschlaffen.
    Das Rauschen in meinen Ohren wird noch lauter.
    »Daddy!«, schreie ich.
    Dann drücke ich ab.
    Er lässt los.
    Ich schluchze und sinke auf die Knie, fest davon überzeugt, dass ich nie die Kraft haben werde, wieder aufzustehen.
    Daddy, Daddy, was habe ich getan?
    Alex hustet und kriecht unter meinem Vater hervor.
    »Zach«, stöhnt er, und seine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. Er deutet zum Fluss.
    Zach kann unmöglich im Wasser überlebt haben.
    Wie soll ich ihn finden? Nebel umgibt mich. Außerdem kann ich nicht aufstehen. Ich werde nie wieder aufstehen können.
    Reiß dich zusammen, Sara! Steh auf! Versuch es wenigstens.
    »Hat Dad auf ihn geschossen?«
    »Ins Bein«, krächzt Alex. Das ergibt einen Sinn. Lauf nicht weg. Das hat mein Vater zu Mom gesagt. Ich habe einen Kloß im Hals, als ich daran denke, dass mein Vater uns um jeden Preis bei sich behalten wollte.
    »Mom ist … in der … Hütte.« Ich zittere so sehr, dass ich die Worte kaum hervorbringe. Und meine Gedanken wirbeln so wild durcheinander, dass die Worte wahrscheinlich gar keinen Sinn ergeben. »Ich … Zach … zu ihm.«
    Ich torkle zum Fluss, ziehe irgendwie die Schuhe aus und springe.
    Himmel, ist das kalt! Wie lange hält sich Zach schon im Wasser auf? Ich habe das schreckliche Gefühl, dass ich viel, viel zu spät komme.
    Wo ist er, Matt? Du musst mir helfen, ihn zu finden , denke ich verzweifelt.
    Ich lasse mich von der Strömung mitziehen und taste unter Wasser nach Zach. Nichts.
    »Zach!« Ich weiß, dass es zwecklos ist, aber trotzdem rufe ich immer wieder seinen Namen. Ich tauche, öffne unter Wasser die Augen und halte Ausschau nach ihm. Wieder nichts.
    Als ich nach oben komme, um Luft zu holen, stoße ich mit dem Kopf gegen einen Baumstamm. Bevor ich atmen kann, bin ich plötzlich wieder unten. Wasser dringt mir in die Nase. Benommen öffne ich den Mund und schlucke noch mehr Wasser.
    Ich fühle mich plötzlich wie in meinem schrecklichen Haferbreitraum. So ist es also, wenn man ertrinkt. Ich gerate in Panik, trete und versuche, nach oben zu gelangen.
    Ich erreiche die Wasseroberfläche, ringe nach Luft, huste und klammere mich am Baumstamm fest. Ich schaffe es einfach nicht.
    Aber du musst es schaffen. Es geht um Zach. Jede Sekunde zählt.
    Ich stoße mich von dem Baumstamm ab und schwimme um ihn herum. Ich muss zurück und Mom helfen. Für Zach ist es zu spät. Ich muss zu meiner Mutter zurück.
    Ein weiterer umgestürzter Baum blockiert
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