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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert
Autoren: Sasa Stanisic
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aus?, sagt er. Mein Sohn, meiner!
    Es ist schwer, sich Opa Slavko als Sohn vorzustellen. Söhne sind höchstens sechzig Jahre alt. So um die sechzig sind fast alle, die Opa heute verabschieden. Die Frauen, das Haar unter schwarzen Tüchern, tragen Parfüm, weil sie den Geruch vom Tod korrigieren wollen. Hier riecht der Tod nach frisch gemähtem Rasen. Die Männer tuscheln, kleine, bunte Abzeichen an den Brusttaschen ihrer schwarzen Sakkos, Hände hinter dem Rücken verschränkt, auch ich verschränke meine.
    Vater hilft Ur-Opa aus der Grube und stellt sich hinter mich. Seine Hände drücken schwer auf meine Schultern. Die Reden beginnen, die Reden dauern, die Reden nehmen kein Ende, ich will aber mit dem Zauberritual niemanden unterbrechen, das wäre unhöflich. Ich schwitze. Die Sonne brennt, die Zikaden zirpen. Onkel Bora wischt sich mit einem hellblauen Tüchlein den Schweiß aus dem Gesicht. Ich wische mir mit dem Ärmel über die Stirn. Onkel Miki setzt sich ins Gras. Er und einige alte Frauen sind allerdings die einzigen, die sitzen, also bleibe ich stehen. Einmal beobachtete ich heimlich eine Beerdigung, auf der es keine langen langweiligen Reden gab, sondern eine kurze unverständliche. Ein bärtiger Mann in Frauenkleidern sang und schwenkte eine goldene Kugel an einer Kette. Aus der Kugel rauchte es und der Tod roch nach grünem Tee. Später erfuhr ich, dass der Mann ein Pope war. Bei uns gibt es keinen Popen – bei uns reden sechzigjährige Brustorden. Niemand ist witzig. Alle loben Opa, oft sagen sie dasselbe, als hätten sie voneinander abgeschrieben. Sie klingen wie Frauen, wenn sie Kuchen loben. Weil der Tote unter der Erde nichts mehr hören kann, soll ihm das Letzte, was er hier oben hört, gut tun. Aber so korrekt, wie mein Opa war,
würde er sofort jedes Schönreden richtig stellen. Nein, Genosse Poljo, würde er sagen, ich habe nicht jeden Tag unser Land reformiert, ich habe letzten Freitag nichts dafür getan, um die Inflationsrate zu senken, und am Samstag habe ich lange geschlafen und habe nicht die Erfüllung des Plans in verschiedenen Kollektiven der Region vorangetrieben. Sonntags gehe ich mit meinem Enkel, dem Zauberer hier, spazieren. Wir nehmen immer einen anderen Weg und erfinden Geschichten, das ist das Herrliche bei uns in Višegrad, uns gehen die Wege und die Geschichten niemals aus – kleine, große, komische, traurige, unsere Geschichten! Und wo gibt es denn so was, dass der Enkel mehr Geschichten kennt als der Opa? Als er so klein war, Opa würde Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger erheben, hat er sich Gedanken über die weitere Biografie von Mary Poppins gemacht. Genossin Poppins hat ihre blöde Königin satt, ändert ihren Namen in Marica, zieht nach Jugoslawien zu uns in das Hochhaus und heiratet Herrn Musikprofessor Petar Popović aus dem vierten Stock. Der ist zwar schon verheiratet und auf Regenschirme allergisch, spielt aber so ausgezeichnet Klavier, dass Marica ihm nicht widerstehen kann. Sie betört ihn mit ihrem Gesang und ihren eng geschnürten Stiefeln. Mit dem Regenschirm fliegt Marica über die Stadt und will nichts mehr von Kinderbetreuung wissen, sie bekommt eine Arbeit in der Endmontage des »Partisan«, woraufhin die Werkzeugfabrik Monat um Monat die planmäßig geforderte Warenmenge um das Zweifache übertrifft. Aber ich schweife ab, würde Opa mit den Fingern schnippen, ich wollte eigentlich noch etwas berichtigen: ich habe nicht immer einen guten Rat für jeden. Zum Beispiel für die jungen Leute – ich weiß wirklich nicht, was ich ihnen raten soll, außer vielleicht, uns weniger zu vertrauen und mehr Johann Sebastian zu hören. Und wenn unsere Nachbarn aus dem zweiten Stock ihren Müll neben dem Container abstellen, da bin ich weit von jeder Höflichkeit entfernt, Genosse Poljo! Ich bin ein zickiger Nachbar! Ich schimpfe lauthals durch das Treppenhaus, und wenn es noch mal vorkommt,
leere ich den Müll vor der Nachbarstür aus, jawoll, das mache ich! Es stimmt auch nicht, dass ich Kohlen in die Keller von irgendwelchen alten Witwen schleppe, würde Opa abwinken, ich mag alte Witwen nicht besonders! In einer Sache hast du allerdings Recht, hätte Opa gesagt, Omas Hand genommen und mit dem Daumen über ihren Handrücken gestreichelt. Ich helfe meiner Katarina mit dem Geschirr, ich sauge die Wohnung und koche liebend gern. Katarina musste nie den ganzen Tag auf den Beinen stehen, solange ich auf meinen stehen konnte! Warum sollen Männer nicht kochen? Am
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