Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert
Autoren: Sasa Stanisic
Vom Netzwerk:
Landschaft anschauen: die Sträucher reifer Brombeeren, den Bach unter den Tannen, Farne in der Farbe der leuchtend roten Dauerwelle meiner Mutter. Vater hatte die Hände vom Lenkrad gehoben und, mehr Gas geht nicht, mit den Schultern gezuckt. Ein Teil der Strecke zu den Urgroßeltern wird seitdem jedes Mal gelaufen. Auf dem Rückweg springt der Yugo sofort an. Der Einzige, der sich niemals daran gewöhnen wird, ist mein Vater.

    Während er sich gestern die Finger am Motor schwarz reparierte, versuchte ich, meinen Onkeln und Nena Fatima klar zu machen, dass man mich beim Rommé nicht gewinnen lassen muss. Die Zeit der Daumenlutscherprivilegien ist vorbei!, rief ich, ich tue doch nur so, als würde ich keine vierzehn Karten auf einmal halten können, um euch in Sicherheit zu wiegen !
    Ich warf mein Blatt schwungvoll in die Mitte des Steines, an dem wir hockten, um mich lauter zu machen, ohne dass meine Stimme lauter wurde. Meine Mutter war die Chefgenossin solcher Gesten. Sie konnte den Tisch verlassen, ihren Kopf schütteln, die Arme in die Seiten stemmen und die Augenbrauen so lautstark zusammenziehen, dass ich mir die Ohren zuhalten wollte.
    Und du, Onkel – ich tippte Bora mit dem Zeigefinger gegen die Schulter –, wenn du mir schon in die Karten siehst, dann bitte, damit du den Buben, den du übrigens selbst gebrauchen kannst, auf der Hand behältst und nicht, um ihn mir zu servieren, ich bin doch keine Inkompetenz!
    Das Wort »Inkompetenz« habe ich von meinem Vater. Er benutzt es, wenn im Fernsehen Politik gezeigt wird oder wenn er mit Onkel Miki über die Fernsehpolitik streitet. »Sympathisieren« ist ein anderes wichtiges Wort und hat schon mehrmals zu Michaufmeinzimmerschicken geführt und zu Tagelangmiteinanderkeinwortwechseln zwischen den Brüdern. Hätte ich einen Bruder, wären wir genau das Gegenteil von meinem Vater und Onkel Miki. Wir würden miteinander ernsthaft reden und trotzdem würde niemand vor unserer Lautstärke Angst haben brauchen.
    Inkompetenz bedeutet: etwas machen, obwohl man keine Ahnung davon hat, Jugoslawien regieren zum Beispiel.
    Onkel Bora sagte: in Ordnung, sammelte die Karten auf, mischte sie, und wir ließen die nächste Partie Nena Fatima gewinnen. Hinter uns knallte Vater die Motorhaube zu und Bora hielt ihm seine Zigarettenschachtel hin. Wir machten uns zu Fuß auf den Weg.

    Mein Vater war ein Veletovo-Raucher. Die einzigen Zigaretten in seinem Leben rauchte er auf der Strecke Stehengebliebener Yugo – Haus der Urgroßeltern. Auch gestern: zwei Schachteln in zwei Stunden. In einer Pause, die wir für Onkel Bora einlegen mussten, der aus dem Schnaufen nicht mehr herauskam, malte ich unseren Yugo ohne Auspuff auf der Straße nach Veletovo. Früher Morgen, an den Gräsern glänzte der Tau, die Vögel trillerten und die Verwandten, deren Yugos niemals stehen blieben, überholten uns hupend.
     
    Ich krümme mich vor Magenschmerzen unter einem Himmel reifer Früchte an gebogenen Ästen und muss dringend aufs Klo. Schnell den Hügel hinauf, über die Veranda, wo Onkel Bora Plastiktischdecken in die Tische nagelt. Als heute Morgen entschieden wurde, wer hier bleibt und pflückt und wer auf der Veranda für die Feier aufbaut, wandte er sich als einziger Mann schwerfällig zum Gehen. Tante Taifun rief ihm hinterher: Einbisschenkletternwürddirguttun! Wie schnell ihre Zunge war! Wörter, die erst die eigenen Sätze, dann alles Zuhören überholten!
    Mir würde es vielleicht gut tun, aber denk doch mal an die armen Bäume, winkte ihr Mann ab und schleppte seine hundertfünfzig Kilo den Hügel hinauf. Und als wollte er seine Meinung über Pflaumen im Allgemeinen äußern, putzte er einen Apfel am Ärmel ab und biss mit einer Gewalt hinein, dass der Apfel auseinander brach und der Saft ihm über beide Doppelkinne lief. Unerschrocken verzog der große Mann das Gesicht und schloss genüsslich die Augen.
    Dasistdochdiehöhe! Dasistdochdiehöhe! Tante Taifun raufte sich das Haar. Wir starrten gebannt auf Dampfwalze und seine schwangere Naturkatastrophe, so schön muss die Liebe sein, seufzte Ur-Oma und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
    Meine Tante spricht eine deutsche Autobahn schnell. Seit Jahren stampft Onkel Bora in Deutschland Teer mit einer Dampfwalze zu schnellsten Autobahnen der Welt, und Tante
Taifun kellnert in einer Raststätte. Fragt mich jemand, was mein Onkel beruflich macht, erwähne ich die Walze nicht. Er ist Gastarbeiter, sage ich. Ich wundere mich zwar,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher