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Wie ausgewechselt

Wie ausgewechselt

Titel: Wie ausgewechselt
Autoren: Rudi Assauer , Patrick Strasser
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Energie und seinen Worten umging wie kein Zweiter. Auch über dessen üppige Haarpracht amüsiert man sich noch einmal gemeinsam. »Wegen seiner Matte nannten wir ihn den ›Meister‹ in Anlehnung an den Sänger Guildo Horn«, erzählt Lehmann, »aber Jiri war ein Riesenkicker, enorm. Der konnte das Spiel lesen wie kein Zweiter. Wenn der allerdings auf den Platz getrabt ist mit seinen hängenden Schultern, dann dachte man immer, mein Gott, dieser schmächtige Kerl ist ja langsam – aber dann ging’s richtig ab. Der war so dürr, der hatte gar keine richtige Muskulatur. «
    Nach der Verabschiedung kreisen bei Lehmann die Gedanken um Rudi Assauer und dessen Krankheit. »Ohne ihn wäre der Verein nicht das, was er heute ist«, sagt Lehmann. Aber was weiß Assauer davon noch? Als er Ende 2011 in der Veltins-Arena, seinem Stadion, zu einem Termin geladen ist, passiert Assauer die Ahnengalerie aller Schalker Kapitäne, schöne Fotos in großen Bilderrahmen hängen an den Wänden. Er sagt zu seiner Tochter, da sehe man doch, wie schnell es gehe, wie schnell man vergessen werde. Der Exmanager hat aber kein einziges Spiel für Schalke bestritten. Schalke, da war doch was – doch Assauers Gehirn bekommt die genaue Verknüpfung nicht mehr hin. Jens Lehmann, heute TV-Experte, senkt den Kopf, meint nachdenklich: »Wenn ich so direkt mit Alzheimer konfrontiert werde, denke ich natürlich an meine Eltern und auch an mein eigenes Alter – ich frage mich: Wie wird es mir einmal ergehen, wenn es mich erwischt? Was kommt überhaupt im Alter auf mich zu? Was wird einmal mit meinen Eltern sein?« Alzheimer setzt den Mitmenschen einen Spiegel vor.
    »Manchmal hocke ich an meinem Schreibtisch, überlege so vor mich hin und male mir dann aus, was in Zukunft passiert: In ein paar Jahren sitze ich nur noch rum und warte, bis ich abgesäbelt werde. Dann könnte man sich doch gleich die Kugel geben, ein Loch in den Kopp schießen. Nein, werde ich natürlich nie machen. Aber auch für meine Familie ist das nicht schön, wenn ich dann wie so ein Bekloppter durch die Gegend laufe oder im Rollstuhl umhergeschoben werden muss. Oder wenn ich dann in ein Pflegeheim muss – das ist so schrecklich dort. Diese armen Menschen! Wenn ich mir das vorstelle, die liegen da und gucken nur noch stumpf an die Decke. Was für ein Leben! Manche können nicht mal mehr ›Guten Tag!‹ sagen. Die wissen ja gar nicht, warum und wieso und weshalb. Schrecklich.«
    Angst bestimmt Assauers Gedanken heute. Die Angst vor dem endgültigen Verlust der Kontrolle des Gehirns über sein Leben. Die Angst, überhaupt nicht mehr Herr seiner selbst zu sein – ein Leben in totaler Abhängigkeit zu verbringen. Damit hatte er immer schon Schwierigkeiten. Sein Schicksal in die Hände anderer zu geben bereitete ihm Magenschmerzen. Bis heute leidet Assauer an Flugangst.
    »Flüge waren für mich immer ein notwendiges Übel des Jobs – es ging eben nicht ganz ohne. Wie sollte man sonst schnell zu den Auswärtsspielen kommen? Wie sollte man fix vor Ort sein und vor allem schneller als die Konkurrenz, wenn man einen Spieler beobachten wollte? Meist habe ich vor dem Flug eine halbe Valium-Tablette eingenommen oder ein Glas Rotwein getrunken – das konnte auch mal ein Calvados oder ein Cognac sein. Das hat mich beruhigt. Ab und an ist es mir auch gelungen, die Angst auszublenden. In so einer Situation konnte ich das ganz gut.
    Wenn es mal wieder so weit war, wollte ich immer unbedingt einen Fensterplatz haben. Leute, die ebenfalls unter Flugangst leiden, kennen das, man will wissen und sehen, was passiert – auch wenn das natürlich Unfug ist. Irgendwie eingreifen kann man als Fluggast sowieso nicht, wenn man mal in dem Vogel drinsitzt. Am liebsten habe ich immer in Reihe eins bis drei gesessen, weil dort der Weg zur Ausgangstüre vorne links am kürzesten ist. Viele Flugkapitäne waren so nett und haben mich ins Cockpit gelassen, als das vor den Terroranschlägen von New York 2001 noch erlaubt war. Ein Besuch im Cockpit mildert die Angst. Man sieht, wie professionell die Herren oder auch Damen dort ihren Job machen. Und früher, ach was für Zeiten, da durfte ich sogar noch eine Zigarre rauchen da vorne.
    Mit Borussia Dortmund sind wir 1968 einmal zu einer monströsen vierwöchigen Testspielreise nach Nordamerika mit insgesamt neun Partien geflogen, haben unter anderem in New York gespielt. Viele Inlandsflüge waren da auch noch dabei. Meine lieben Mitspieler haben mich immer
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