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Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell

Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell

Titel: Widersacher-Zyklus 01 - Das Kastell
Autoren: F. Paul Wilson
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hinter sich gebracht hatte. Sofort spürte er ihre seltsame Atmosphäre. Sie ähnelte einem Schloß, und nur die geringe Größe verhinderte, daß man sie so nannte. Deshalb bezeichnete man sie schlicht und einfach als Feste. Sie besaß keinen Eigennamen, und allein das war schon sonderbar genug. Viele Jahrhunderte mußten seit ih rem Bau vergangen sein, und doch erweckte sie den Anschein, als sei sie erst gestern fertiggestellt worden.
    Sie erhob sich auf einer breiten Felsplatte, die aus der westlichen Schluchtwand ragte, hoch über dem Fluß, der irgendwo im Gebirge entsprang. Die glatten, etwa zwölf Meter hohen Mauern bestanden aus einzelnen Granitblöc ken, die fugenlos mit dem natürlichen Hang verschmolzen. Das auffälligste Merkmal war der eine Turm: Er war mindestens fünfzig Meter hoch, lief nicht spitz zu, sondern endete in stumpfen Zinnen – ein Relikt aus einer anderen, längst vergangenen Epoche. Eine Bastion, dazu bestimmt, den Paß zu schützen – und diese Funktion sollte sie jetzt wiederbekommen.
    Und doch weist sie nicht die geringsten Anzeichen des Verfalls auf.
    Wörmann nickte seinem Fahrer zu, einem Mann namens Oster, der im Rang eines Feldwebels stand, und kurz darauf setzte sich die Kolonne wieder in Bewegung. Die Straße – der Weg – wurde etwas breiter, führte schließlich ins Dorf, das sich südlich des Kastells, auf der anderen Schluchtseite, an den Berghang schmiegte.
    Als sie näher kamen, stellte Wörmann fest, daß es sich nicht um eines der kleinen Dörfer handelte, die er aus Deutschland kannte. Er sah schlicht verputzte Wände, Schindeldächer, primitiv und ärmlich anmutende Hütten. Alles einstöckige Gebäude – bis auf eine Ausnahme am nördlichen Rand des Dorfes. Dort stand ein zweistöckiges Haus, vor dessen Eingang ein Schild hing. Wörmann konnte die rumänischen Worte nicht übersetzen, nahm aber an, daß jenes Bauwerk als Gaststätte und Herberge diente. Warum? fuhr es ihm durch den Sinn. Gibt es tatsächlich irgendwel che Reisende, die diesen gottverlassenen Ort besuchen?
    Einige Dutzend Meter hinter dem Dorf endete der Weg am Rande der Schlucht. Eine von steinernen Säulen getragene Holzbrücke überspannte den siebzig Meter breiten Abgrund und reichte bis zur Feste. Es gab keine andere Möglichkeit, die Bastion zu erreichen. Es sei denn, jemand war verrückt genug, von unten an der steilen Wand emporzuklettern – oder sich vom oberen Rand des Passes dreihundert Meter an einem Seil herabzulassen.
    Wörmann erkannte auf einen Blick den strategischen Wert der alten Festungsanlage. Sie gab einen bestens geeigneten Wachtposten ab. Vom Turm aus konnte man den ganzen Dinu-Paß im Auge behalten. Fünfzig gute Männer hinter den dicken Mauern hätten ausgereicht, um ein ganzes russisches Bataillon abzuwehren. Was selbstverständlich nicht heißen soll, daß die Russen beabsichtigten, die Schlucht zu durchqueren, dachte Wörmann. Wie dem auch sei: Vielleicht ist das Oberkommando in dieser Hinsicht anderer Meinung.
    Wörmann betrachtete die Feste nicht nur mit einem militärischen, sondern auch mit einem künstlerischen Auge. Wie könnte man die Ausstrahlung von düsterer Wachsamkeit am besten auf einem Gemälde festhalten? Mit Wasserfarben? Oder sollte er Öl verwenden? Er nahm sich vor, beides auszuprobieren. Im Verlauf der nächsten Monate hatte er sicher viel freie Zeit.
    »Nun, Feldwebel, was halten Sie von Ihrem neuen Heim?« fragte er Oster, als sie am Rande der Brücke anhielten.
    »Nicht viel.«
    »Gewöhnen Sie sich daran. Wahrscheinlich verbringen Sie hier den Rest des Krieges.«
    »Wie Sie meinen.«
    Wörmann bemerkte einen eigentümlichen Mißmut in den Antworten seines Fahrers. Er musterte den schlanken, dunkelhaarigen Mann, der nur knapp halb so alt war wie er selbst.
    »Es ist nicht mehr lange Krieg, Oster. Als wir aufbrachen, erhielt ich die Nachricht von der Kapitulation Jugoslawiens.«
    »Oh, warum haben Sie uns das nicht gesagt? Es hätte unsere Stimmung gehoben!«
    »Sieht es mit Ihrer Moral so schlecht aus?«
    »Nun, wir wären jetzt lieber in Griechenland, Herr Major.«
    »Warum denn? Da gibt’s nur schlechten Branntwein, zähes Fleisch und komische Tänze. Würde Ihnen bestimmt nicht gefallen.«
    »Wegen der Kämpfe , Herr Major.«
    »Ach, das meinen Sie.«
    Wörmann spürte wieder jene Art von Zynismus in sich aufsteigen, die immer mehr ein Teil seines Wesens wurde. »Sie kämen nicht mehr rechtzeitig dorthin, um an irgendeiner Schlacht
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